Die 5 Plage
mitkommen wolle. Während wir die Treppen zum Leichenschauhaus hinuntertrabten, brachte ich ihn auf den neuesten Stand.
38
Die nüchterne, kalte Realität des Leichenschauhauses, wo Claire arbeitete, war mir schon immer an die Nieren gegangen - das gnadenlose weiße Licht auf den Toten, die Laken, unter denen sich ihre ausgeweideten Leiber verbargen. Die leeren Gesichter. Der strenge antiseptische Geruch.
Doch die Umstände konnten Jag-Girls äußerliche Schönheit nicht gänzlich trüben. Sie sah sogar eher noch jünger aus, noch wehrloser als zuvor in den Designerkleidern.
Der violette Bluterguss, der sich ringförmig um ihren Hals zog, und die unregelmäßigen blauen Flecken auf ihren Oberarmen wirkten schockierend auf ihrer ansonsten makellosen Haut. Und nach mehreren Stunden im Leichenschauhaus war auch ihre Frisur nicht mehr ganz so perfekt.
Ich sah meiner Freundin zu, wie sie ihre Montur anlegte - Haube, Maske, Kittel, Plastikschürze und Handschuhe. »Sieht aus, als hätten die Täter wieder mit ›weichen‹ Methoden gearbeitet«, sagte Claire. »Keine Messerstiche, keine Schusswunden.«
Claire setzte das Skalpell zu dem tiefen, Y-förmigen Einschnitt an - von beiden Schultern schräg nach unten zum Brustbein und von dort abwärts bis zum Schambein.
Claire schob ihre Maske hoch, zog den Gesichtsschutz herunter und sprach ins Mikrofon, während sie die Halsmuskeln Schicht für Schicht sezierte.
Mit einer Pinzette zog sie einen Hautlappen zurück. Und zeigte mir und Jacobi den bräunlichen Fleck in Form eines Fingerabdrucks.
»Diese junge Dame wurde von zwei vollkommen durchgeknallten Tätern erstickt«, sagte Claire. »Wie bei Caddy-Girl finden sich keinerlei Petechien oder Punktblutungen. Also muss jemand sie zu Boden gedrückt und durch Burking erstickt haben. Hier am Hals hat er einen Daumenabdruck hinterlassen. Dieser Bursche ist sehr kräftig.
Ein zweiter Täter hat ihr dann ein Strangulationswerkzeug um den Hals gelegt. Irgendetwas Faltiges, Knittriges. Das Muster des Abdrucks könnte von einer zusammengerollten Plastiktüte stammen. Vermutlich hat er ihr noch die Pranke auf Mund und Nase gelegt, um die Sache zu beschleunigen.«
Ich starrte das Opfer an, und ich konnte nicht umhin, mir die abscheuliche Tat bildlich vorzustellen.
»Das bringt mich auf die Idee, dass es sich hier um irgendeine ausgelebte Porno-Fantasie handeln könnte«, sagte ich. »Keine Peepshow-Kabine, keine Hefte, kein Computerbildschirm. Was für ein Spaß. Echte Mädchen, live und ohne Barrieren. Die Täter können sie betäuben, sie vergewaltigen, sie an- und ausziehen - sie können mit ihnen machen, was sie wollen.«
»Es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese junge Frau sich gewehrt hat«, meinte Claire. »Also werde ich mich bis zum Eintreffen der Toxikologie-Ergebnisse schon mal aus dem Fenster lehnen und sagen, dass sie wahrscheinlich auch unter Drogen stand.«
Jacobi kochte vor Wut. »Diese dreckigen Feiglinge.«
»Nicht den Mut verlieren, Freunde«, sagte Claire. »Die im Labor schulden mir noch einen Gefallen. Vielleicht können sie ja die DNA-Analyse rasch einschieben.«
Ich trat näher an den Tisch und blickte erneut in das leblose Gesicht der Toten. Nach einer Weile streckte ich die Hand aus und schloss ihre trüben blauen Augen.
»Wir werden diese Schweine kriegen«, versprach ich ihr.
39
Claire brachte Lindsay und Jacobi zur Tür. Sie hätte ihnen gerne mehr Fakten an die Hand gegeben, sagte sie, hoffte aber dennoch, dass dieses arme tote Mädchen möglichst bald einen Namen haben würde, der nichts mit Luxuskarossen zu tun hatte.
Dann rief sie im DNA-Labor an und bekam die übliche Antwort - »Selbstverständlich, Dr. Washburn, wir werden das gleich erledigen« -, eine Versicherung, aus der sie die unausgesprochene Einschränkung heraushörte: »Wissen Sie überhaupt, wie langwierig diese Prozedur ist? Wissen Sie, wie viele Fälle noch vor Ihrem an der Reihe sind?«
»Ich meine es wirklich ernst«, schärfte sie dem Laborleiter ein. »Es ist sehr dringend - oberste Priorität.«
»Ja. Ma’am. Ich habe verstanden.«
Claire schob Jag-Girl gerade ins Kühlfach, als ihr Handy klingelte. Auf dem Display leuchtete Yukis Nummer auf.
»Yuki! Schätzchen, wie geht es dir?«, fragte sie. »Soll ich dich abholen, oder kannst du selbst fahren? Edmund freut sich wirklich darauf, dich zu sehen, und er kocht heute Abend Risotto mit Pilzen.«
»Claire, es tut mir leid. Ich kann einfach nicht - ich kann im
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