Die 5 Plage
Schwester als Nächstes.
»Wie bitte?«
»Sie kennen doch das neue Gesetz zum Schutz von Patientenrechten. Wir dürfen Ihnen nur dann Informationen über Ihre Mutter herausgeben, wenn Sie eine medizinische Vollmacht vorlegen.«
Wieder kochte die Wut in ihr hoch. »Was reden Sie da? Sind Sie verrückt geworden?«
Was hatte ihre Frage denn mit Patientenrechten zu tun? Ihre Mutter war vor wenigen Stunden gestorben. Sie hatte ein Recht zu erfahren, was passiert war.
Yuki bemühte sich, ihre Stimme im Zaum zu halten. »Ist Dr. Garza hier, bitte?«
»Ich kann ihn anrufen, aber Dr. Garza kann Ihnen auch nicht mehr sagen, Miss Castellano. Er ist genauso an das Gesetz gebunden wie wir alle.«
»Darauf lasse ich es gerne ankommen«, sagte Yuki. »Ich will Dr. Garza sprechen!«
»Jetzt bleiben Sie mal ganz ruhig, okay?«, entgegnete die Schwester und fixierte Yuki mit ihren großen, ausdruckslosen Augen. Ihr Blick verriet, dass sie Yuki für nicht ganz richtig im Kopf hielt. »Ich werde mal sehen, ob er noch im Haus ist.«
35
Dr. Garza saß in seinem kahlen, fensterlosen Büro, als Yuki an die offene Tür klopfte. Sie zögerte einen Moment, als er den Kopf hob und sie ansah. Er machte keinen Hehl aus seinem Unmut über die Störung. Was für ein Arschloch , dachte Yuki.
Aber sie ließ sich nicht abschrecken, schnappte sich den Stuhl gegenüber von ihm und kam gleich zur Sache.
»Ich verstehe nicht, wieso meine Mutter gestorben ist«, sagte sie. »Was ist mit ihr passiert?«
Garza zupfte an seinem Uhrarmband.
»Dr. Pierce hat Sie doch sicherlich schon informiert, Ms. Castellano. Ihre Mutter hatte einen Schlaganfall«, sagte er. »Verstehen Sie? Ein Thrombus, ein Blutgerinnsel, hat die Blutzufuhr zu ihrem Gehirn blockiert. Wir haben sie mit Gerinnungshemmern behandelt, aber wir konnten sie nicht retten.«
Der Arzt legte die Hände flach vor sich auf den Tisch, eine Geste, die besagte: Das ist alles. Ende der Diskussion.
»Ich weiß, was ein Schlaganfall ist , Dr. Garza. Was ich nicht verstehe, ist, warum sie beim Abendessen noch putzmunter war und um Mitternacht schon tot. Sie war schließlich in einem Krankenhaus ! Und Sie und Ihre Kollegen haben es nicht geschafft, sie zu retten. Da ist doch etwas faul, Dr. Garza.«
»Wären Sie bitte so freundlich, Ihren Ton ein wenig zu mäßigen?«, entgegnete Garza. »Ein menschlicher Körper ist keine Maschine. Und Ärzte können keine Wunder vollbringen. Glauben Sie mir, wir haben getan, was wir konnten.«
Garza beugte sich vor und fasste Yuki an den Händen. »Ich weiß, es ist ein Schock für Sie. Es tut mir leid.«
Es war eine merkwürdig intime Geste, die Yuki verblüffte und zugleich abstieß. Instinktiv riss sie sich los, worauf der Arzt seine Hände ebenfalls zurückzog.
»Übrigens«, sagte Garza, jetzt wieder kalt und distanziert, »Sie müssen noch mit Schwester Nuñez sprechen, bevor Sie gehen. Ihre Mutter muss innerhalb von vierundzwanzig Stunden in ein Beerdigungsinstitut überführt werden. Länger können wir Sie leider nicht hierbehalten.«
Yuki stand abrupt auf und stieß dabei den Stuhl um.
»Die Sache ist noch nicht ausgestanden. Ich bin Anwältin«, sagte sie. »Ich werde den ganzen Vorgang sehr sorgfältig überprüfen. Und ich werde herausfinden, was wirklich mit meiner Mom passiert ist. Sie rühren sie nicht an, bis ich es Ihnen erlaube, verstanden? Und übrigens, Dr. Garza - Sie sind ungefähr so einfühlsam wie ein Aal.«
Yuki drehte sich zur Tür um, stolperte über den umgefallenen Stuhl, blieb mit den Füßen an den Stuhlbeinen hängen und fiel vornüber.
Im letzten Moment konnte sie den Sturz abfangen, indem sie sich mit den Händen an der Wand abstützte. Während sie sich unbeholfen mühte, das Gleichgewicht wiederzuerlangen, betätigte sie aus Versehen den Lichtschalter und tauchte Dr. Garzas Büro in völlige Dunkelheit.
Doch sie verlor kein Wort über ihr Missgeschick. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, das Licht wieder einzuschalten.
Mit zittrigen Knien verließ sie das Büro, ging den Flur entlang zum Treppenhaus und hinunter ins Erdgeschoss. Und von dort rannte sie auf die Straße hinaus.
Draußen war die Luft stickig und feucht, und sie fühlte sich plötzlich einer Ohnmacht nahe. Im Schatten einer großen Platane setzte sie sich auf den Gehsteig und starrte die Menschen an, die zur Arbeit gingen, als wäre es ein ganz normaler Tag.
Sie dachte an das letzte Mal zurück, als sie ihre witzige, quirlige Mutter gesehen
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