Die 5 Plage
machen.
O nein , dachte Harris, als er das Knurren der Blindenhündin hörte. Dann das Klicken der Pistole, die panische Stimme des Jungen: »Hau ab, du Scheißköter!«
Ein lautes Krachen zerriss die Luft, Leo Harris rief: »Midnight!«, und dann folgte eine zweite ohrenbetäubende Explosion, die den kleinen Laden zu erschüttern schien.
Harris hielt sich die Brust. Er sackte zusammen, riss im Fallen Toilettenartikel und Zigarettenpackungen mit und hörte noch, wie der kleine Mistkerl hinausrannte, dann das Knallen der Tür, das Läuten der Glocke …
Anschließend dachte er an seine Kameradin, seine treueste Freundin seit zwölf Jahren. Inmitten des Getöses fallender Flaschen, des Klirrens der Glasscherben am Boden, hörte er die arme Midnight fiepen und jaulen.
»Hilfe! Hilft uns denn niemand? Jemand hat auf uns geschossen!«
48
Als Leo Harris aufwachte, lag er auf der Seite, mit dem Gesicht zur Wand. Er spürte Midnights Schnauze im Nacken, ihren heißen Atem an seiner Wange. Dann hörte er eine Männerstimme sagen: »Sind Sie okay, Mr. Harris? Ich bin’s, Larry. Officer Petroff. Können Sie mich hören?«
»Mein Hund. Ich glaube, er hat Midnight angeschossen.«
»Ja, Sir, sie ist hier; sieht aus, als hätte sie eine Kugel in die Hüfte bekommen. Hat sich zu Ihnen rübergeschleppt. He, ganz ruhig. Ich tu dir ja nichts. Sagen Sie ihr, dass es in Ordnung ist, Mr. Harris.«
»Lass das, Midnight. Braves Mädchen.«
»Ich hab Ihnen einen Krankenwagen gerufen, Mr. Harris, und mein Partner und ich, wir fahren Ihren Hund gleich in die Tierklinik. Sie wird bestimmt bald wieder auf den Beinen sein.«
Leo Harris verlor wieder das Bewusstsein. Als er zu sich kam, spürte er das Schwanken und Ruckeln der Trage, auf der die Sanitäter ihn in den Rettungswagen bugsierten. Er hörte, wie einer von ihnen den Vorfall meldete: »Notaufnahme. Hier Rettungsassistent Colomello. Wir haben einen männlichen Patienten, circa fünfundsechzig, mit Schusswunde in der rechten Thoraxhälfte. Blutdruck hundertvierzig zu hundert, Puls hundertfünfzig. Verringerte Atemgeräusche rechts. Herztöne gut. Keine weiteren sichtbaren Verletzungen. Wir transportieren ihn jetzt ab. Infundieren normale Kochsalzlösung im Schuss.«
»Schießt dieses kleine Arschloch auf einen hilflosen blinden Mann. Das muss man sich mal vorstellen«, sagte Officer Larry Petroff zu seinem Partner.
» Gesetzlich blind«, tönte Leo Harris’ Stimme aus dem Rettungswagen. »Dass heißt nicht, dass ich gar nicht sehen kann.«
»Ich lasse mich gerne korrigieren, Mr. Harris. Nun machen Sie sich mal keine Sorgen. Die haben sehr gute Ärzte dort im Municipal. In drei Minuten sind Sie dort, Verkehr hin oder her. Und Midnight wird auch wieder gesund. Sie haben beide sehr viel Glück gehabt.«
»Tja, muss wohl mein Glückstag sein heute«, meinte Leo Harris.
49
Schwester Noddie Wilkins war stinksauer. Auch wenn sie sofort losfuhr, würde sie immer noch eine halbe Stunde zu spät zu ihrem Rendezvous mit Rudolpho kommen. Dieser Job war das Letzte . Er fraß ihr ganzes Leben auf! Und dann kürzte ihr das Krankenhaus auch noch bei jeder Gelegenheit die Bezüge. Diese elenden Geizhälse.
Mit der Hüfte stieß sie die Tür von Zimmer 228 auf, wobei sie Acht gab, dass nichts vom Tablett rutschte. Das einzige Licht im Zimmer kam vom Fernseher. »Hey, Mister«, rief sie laut, um das Geschrei der 49ers-Fans zu übertönen, die sich gerade lautstark über irgendeine Banalität aufregten.
Die Schwester setzte das Tablett auf der schwenkbaren Platte des Nachttischs ab und sah zu, dass sie dabei außer Reichweite des Patienten blieb. Mr. Harris mochte sechsundsechzig Jahre auf dem Buckel haben und mit einer Schussverletzung im Bett liegen, aber wenn sie nicht schnell genug wäre, würde er mit seinem gesunden Arm nach ihr grabschen - daran konnte ihn auch seine gesetzliche Blindheit nicht hindern. Aber eigentlich war er ja ein ganz netter Kerl, ein freundlicher älterer Herr, der seine Hündin Midnight über alles liebte.
»Ich hab Ihnen Ihr Abendessen gebracht, Mr. Harris, und Ihre zwei Portionen Eis; ich muss nur vorher noch rasch Ihren Blutdruck messen.«
Sie wandte sich von ihrem Patienten ab, um das Blutdruckmessgerät aus der Ecke ans Bett zu rollen, und wartete nur darauf, dass er sagte: »Ach, Schätzchen, schüttel mir doch mal eben mein Kopfkissen auf, sei so nett.«
Noddie schielte nach dem Bett. Und plötzlich wurde ihr so mulmig, als wäre sie zwölf
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