Die 5 Plage
bis sie ihm fast die Hand hätte reichen können, und blieb dann stehen.
»Ich bin Yuki Castellano.«
»Ja, ich weiß, wer Sie sind. Die Frage ist: Warum verfolgen Sie mich?«
»Ich habe die Rechtsmedizinerin gebeten, die Leiche meiner Mutter zu obduzieren«, sagte sie.
Garza musste sich Mühe geben, um nicht überrascht zu wirken. »Dann hoffe ich, dass es Ihnen jetzt besser geht. Oder?«
»Allerdings, Dr. Garza. Es geht mir besser, weil ich jetzt weiß, dass ich nicht verrückt bin. Aber ich bin wütend, sehr wütend. Meine Mutter ist gestorben, weil Sie versagt haben. Wieder einmal .«
Garza schien jetzt hochgradig verärgert.
»Ich? Persönlich? Sind Sie da sicher?«
»Veralbern Sie mich nicht. Ich rede von meiner Mutter.«
»Ich bin sicher, die Rechtsmedizinerin wird mir ihren Bericht schicken. Vielleicht werde ich ihn sogar lesen.« Damit wandte Dr. Garza sich ab und ging auf einen schwarzen Mercedes zu, der am Straßenrand parkte.
Er öffnete die Fahrertür und bückte sich, um einzusteigen, doch dann hielt er inne. Er sah Yuki an. »Hey, wieso verklagen Sie mich nicht, Sie Miststück? Wäre doch eine originelle Idee. Machen Sie’s einfach wie alle.«
53
Es war Viertel nach sechs am Mittwochabend, und ich saß mit Claire in »unserer« Nische im Susie’s. Die Calypso-Band spielte sich gerade mit der Jimmy-Buffet-Version der Nationalhymne warm, und wir hatten uns einen Krug Bier bestellt, während wir auf Yuki und Cindy warteten.
Claire und ich stießen an, und dann redeten wir uns all die kleinen Ärgernisse des Alltags von der Seele, die uns plagen wie die Flöhe einen armen Hund - nicht lebensbedrohlich, aber verdammt nervig.
»Kennst du Bob Watson?«, fragte Claire.
»Du meinst deinen Assistenten Bob?«
»Genau. Mein lieber, bärenstarker, williger, intelligenter und arbeitssüchtiger Assistent Bob. Er zieht nach Boston, und ich muss jetzt die zweiundzwanzigjährige Nichte des Bürgermeisters unter die Fittiche nehmen.«
»Was? Sie hat die Stelle mit Vitamin B gekriegt?«
»Sie haben sie mir vor die Nase gesetzt, ohne mich auch nur zu fragen. Bunny heißt das holde Kind«, stöhnte Claire. »Bunny kann kaum ihre Kaffeetasse heben, geschweige denn eine Zweieinhalb-Zentner-Leiche.
Und dann nimmt sie immer meine Schostakowitsch-CD aus dem Player und legt Hip-Hop auf. ›Dr. Washburn, wir brauchen die richtige Musik .‹ Na klar, Bunny. Nur keine Hektik. Unser Patient hier ist sehr geduldig.«
Ich musste so lachen, dass ich Bier in die Nase bekam. In diesem Moment trudelte Cindy ein und ließ sich auf ihren Platz fallen.
»Seid gegrüßt, Mädels.«
»Hallo, du Jungreporterin«, sagte Claire. »Wo ist Yuki?«
»Ich habe mich gerade vor dem Gericht von ihr verabschiedet. Sie sagt, es tut ihr leid.«
»Ist sie immer noch so fertig?«
»Ja, total«, antwortete Cindy. »Aber sie lenkt sich mit dem Prozess ab. Sie ist sogar noch besessener davon als ich.«
Loretta brachte die Speisekarten und eine Schale Bananenchips vorbei, während Cindy uns erzählte, was sie in den letzten Tagen im Gerichtssaal erlebt hatte.
»Dr. Dennis Garzas Name ist heute schon wieder gefallen. Ein zehnjähriges Mädchen hat seine Mutter verloren, weil das ihr verschriebene Medikament überdosiert war. Garza hat sie in der Notaufnahme in Empfang genommen. Abgeholt hat sie das Beerdigungsinstitut Jamison.
Wenn du dir die Geschichten anhörst, die da im Zeugenstand erzählt werden, dann willst du nur noch hingehen und irgendjemanden für diese Scheiße an die Wand nageln«, fuhr Cindy fort, während sie einen Strohhalm auspackte. »Geht bloß nie ins Krankenhaus, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. Es sterben mehr Leute durch Zwischenfälle und Missgeschicke im Krankenhaus als an Brustkrebs und AIDS oder durch Verkehrsunfälle.«
»Ach, komm!«
»Lindsay, ärztliche Kunstfehler zählen zu den zehn häufigsten Todesursachen in Amerika. Und ich habe ein bisschen über Garza recherchiert. Er trägt durchaus seinen Teil zur Statistik bei.«
»Erzähl schon«, drängte Claire.
»Egal, wo Garza gearbeitet hat - Cleveland, Raleigh, Albany oder hier in San Francisco -, es ist immer das Gleiche. Sobald er in einem neuen Krankenhaus auftaucht, steigt die Zahl der Todesfälle.«
»Das ist ja ein nationaler Skandal , was du uns da erzählst«, meinte Claire und setzte ihr Glas mit einem Knall auf dem Tisch ab. »Schwarze Schafe im weißen Kittel, die von Stadt zu Stadt ziehen - und kein Krankenhaus wagt es, sie
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