Die 5 Plage
Stockwerke mit dem Aufzug in die Tiefe gesaust.
Irgendetwas stimmte nicht.
»Mr. Harris! Mr. Harris!«
Sie schüttelte den Arm des Patienten. Sein Kopf rollte schlaff zur Seite, und dabei rutschten die Münzen von seinen Augen und fielen auf die Matratze. Eine rollte weiter auf den Boden, kullerte in die Ecke und drehte sich noch ein paar Sekunden lang scheppernd, bevor sie auf dem Linoleum liegen blieb.
Herr im Himmel - es war schon wieder passiert.
Diese schrecklichen Münzen. Und diesmal auf den Augen von Mr. Harris.
50
Es war der dritte Morgen in Folge, an dem Yuki die schwere Tür aus Stahl und geätztem Glas aufzog, um das Gerichtsgebäude zu betreten. Also schön, es war eine fixe Idee - das ließ sich jetzt nicht mehr leugnen. War sie denn vollkommen verrückt geworden?
Sie zeigte dem Security-Mann kurz ihren Ausweis vor und nahm den Aufzug zum Verhandlungssaal.
Sie hatte Urlaub, und so blieb ihr nur die Wahl, jeden Tag ins Gericht zu gehen - oder vor Kummer und Wut den Verstand zu verlieren. Das Einzige, was sie überhaupt dazu bringen konnte, morgens das Bett zu verlassen, war die Aussicht, Maureen O’Mara dabei zuzusehen, wie sie dem Municipal die Hölle heiß machte.
Die Verhandlung hatte bereits begonnen, als Yuki den voll besetzten Saal betrat. Sie erspähte noch einen freien Platz in der Mitte der Zuschauergalerie und schlängelte sich an einem Dutzend störrischer Kniepaare vorbei, bis sie endlich den Sitz erreicht hatte. »Verzeihung«, flüsterte sie.
Und dann saß Yuki vollkommen gebannt da und hörte zu, wie die Männer und Frauen, die Angehörige im Municipal verloren hatten, nacheinander in den Zeugenstand traten. Sie hörte sie in herzzerreißenden Worten schildern, wie sie ihr Kind, ihren Partner oder einen Elternteil durch Kunstfehler oder Fahrlässigkeit verloren hatten.
Yukis Seele war immer noch so wund, dass sie sich größte Mühe geben musste, nicht mit den Zeugen in Tränen auszubrechen. Aber sie weinte nicht. Sie zwang sich, O’Maras Klage aus dem Blickwinkel einer Anwältin zu verfolgen.
Es war genau so, wie Cindy es vor über einer Woche im Susie’s gesagt hatte.
Jeder der Patienten war über die Notaufnahme eingewiesen worden, hatte eine Zeit lang auf der Intensivstation gelegen - und dann war irgendetwas schiefgegangen, und der Patient war gestorben.
Und genau das Gleiche war auch mit ihrer Mom passiert.
Könnte sie doch nur die Zeit zurückdrehen und ihre Mutter aus dieser Hölle herausholen.
Hätte sie es nur rechtzeitig getan!
Yuki hörte, wie Lawrence Kramer eine in Tränen aufgelöste Mutter aus dem Zeugenstand entließ. »Ich habe keine Fragen an diese Zeugin, danke.«
Während die arme Frau leise schluchzend zu ihrem Platz zurückging, drückte Yuki sich ein Taschentuch mit beiden Händen fest auf die Augen.
Sie rang mühsam nach Luft, als Maureen O’Mara die nächste Zeugin aufrief.
»Ich bitte Dr. Lee Chen in den Zeugenstand.«
51
Yuki rutschte bis zur Stuhlkante vor, um Dr. Chen genau in Augenschein zu nehmen. Der Zeuge der Klägerseite sprach mit dem gezügelten Eifer eines intelligenten Menschen, der nicht als neunmalkluger Besserwisser wahrgenommen werden wollte. Sie kannte das Gefühl nur allzu gut. Das war schließlich mehr oder weniger die Geschichte ihres Lebens.
Chen schilderte seinen Werdegang - Medizinstudium und Promotion in Berkeley, danach zwölf Jahre in der Notaufnahme des San Francisco Municipal.
Von O’Mara befragt, beschrieb der ernst wirkende Arzt mit der schwarz geränderten Brille die Ereignisse eines gewissen Abends, an dem er in der Notaufnahme Bereitschaft gehabt hatte. Eine dreißigjährige Frau namens Jessica Falk war mit dem Rettungswagen eingeliefert worden.
»Ms. Falk war in ihrem Pool geschwommen«, sagte Chen. »Plötzlich wurde ihr flau, und sie rief den Notarzt. Als sie in der Notaufnahme ankam, hatte sie Kammerflimmern. Wir haben sie defibrilliert und dafür gesorgt, dass ihr Herz wieder in einen normalen Sinusrhythmus kam. Ihr Zustand war also stabil. Es ging ihr den Umständen entsprechend gut«, erklärte Chen den Geschworenen. »Dann wurde sie auf die Intensivstation verlegt.«
»Bitte fahren Sie fort, Dr. Chen«, sagte O’Mara.
»Ich kannte Ms. Falk recht gut - unsere Töchter besuchen die gleiche Tagesstätte -, also habe ich ihren Fall weiter verfolgt. Sechs Stunden später, nachdem meine Schicht beendet war, schaute ich bei Jessie vorbei. Wir unterhielten uns eine Weile, und es schien ihr nichts
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