Die 5 Plage
zu fehlen. Sie vermisste nur ihre kleine Tochter, sonst nichts. Aber als ich mir am nächsten Tag ihr Krankenblatt ansah, musste ich feststellen, dass bei ihr Herzrhythmusprobleme aufgetreten waren, vermutlich als Folge von Störungen des Reizleitungssystems, und dass sie kurz darauf verstorben war.«
»Kam Ihnen das ungewöhnlich vor, Dr. Chen?«
»Ich fand es ungewöhnlich für eine Frau von Jessicas Alter und Konstitution.«
»Und was haben Sie dann unternommen?«
»Ich beantragte eine Autopsie und eine Überprüfung durch den Verwaltungsrat.«
»Und was ergab die Autopsie?«
»Aus irgendeinem Grund hatte Jessie Falk Epinephrin erhalten. Das war ihr nicht verschrieben worden.«
»Und welche Wirkung hat Epinephrin bei Herzpatienten wie Ms. Falk?«
»Mein Gott, Epinephrin ist eine synthetische Form von Adrenalin! Sie hätte Lidocain bekommen sollen, ein Antiarrhythmikum. Das hätte ihre Herzfrequenz ausgeglichen. Aber Epinephrin - da hätte man ihr ebenso gut Kokain geben können. Das ist absolut tödlich für Patienten mit Herzrhythmusstörungen.«
»Das war also ein ziemlich schwerwiegender Fehler, nicht wahr, Dr. Chen? Was kam bei der Überprüfung von Ms. Falks Fall durch den Verwaltungsrat des Krankenhauses heraus?«
»Nun - es wurde gar nichts unternommen«, antwortete der Arzt knapp.
»Gar nichts?«
»Nun ja, jedenfalls nicht, was Jessie Falks Tod betraf. Ich dagegen bekam zwei Wochen später meine Kündigung.«
»Weil Sie die Sache hatten auffliegen lassen?«
»Einspruch! Die Vertreterin der Anklage stellt dem Zeugen Suggestivfragen«, warf Kramer ein, der sofort aufgesprungen war.
»Ich werde die Frage anders formulieren, Euer Ehren. Dr. Chen, wieso wurde Ihr Arbeitsverhältnis nach zwölf Jahren beendet?«
»Man sagte mir, es habe mit Mittelkürzungen zu tun.«
O’Mara senkte den Kopf und ließ die Worte des Arztes ihre Wirkung entfalten, ohne sie durch weitere Ergänzungen zu verwässern. Dann hob sie den Blick zu ihrem Zeugen.
»Ich habe nur noch eine weitere Frage, Dr. Chen. Welcher Arzt führte bei Jessica Falk die Erstuntersuchung durch, als sie in die Notaufnahme eingeliefert wurde?«
»Dr. Dennis Garza.«
»Und hat Dr. Garza Ihres Wissens Ms. Falk später noch einmal untersucht, als sie auf der Intensivstation lag?«
»Das Krankenblatt trug seine Unterschrift.«
»Ich danke Ihnen. Das wäre alles, Dr. Chen.«
52
Als Kramer sich erhob, um Dr. Chen ins Kreuzverhör zu nehmen, blickte Yuki sich suchend im Gerichtssaal um, bis sie Dr. Garza entdeckt hatte, der drei Reihen vor ihr am Mittelgang saß. Dieses Dreckschwein.
Er stand auf und strich sich das schwarze Haar aus der Stirn, während er auf den Ausgang zusteuerte. Yukis Gesicht glühte.
Wo will dieser Bastard hin? Komm sofort zurück, Garza! Das musst du dir anhören!
Jetzt stand auch Yuki auf, entschuldigte sich bei ihren Sitznachbarn und zwängte sich erneut an der Reihe von Knien vorbei, trat auf Zehen und schlug mit ihrer Handtasche an die Rückenlehnen.
»Sorry, sorry, sorry.«
Als sie endlich den Flur erreicht hatte, war von Garza nichts mehr zu sehen.
Yuki sah, wie die Aufzugtür sich schloss. Sie sprintete los, drückte auf den Knopf, bis die Tür sich wieder öffnete - doch die Kabine war leer.
Sie kam gerade noch rechtzeitig in der Eingangshalle an, um den Rücken von Garzas marineblauem Jackett zu sehen. Mit großen, entschlossenen Schritten entfernte der Mann sich und verließ das Gerichtsgebäude.
Yukis Absätze klackerten laut auf dem Marmorboden, als sie ihm nacheilte. Inzwischen fragte sie sich, was sie eigentlich sagen oder tun sollte, wenn sie ihn eingeholt hätte.
Das sah ihr so gar nicht ähnlich, dachte sie, als sie die schwere Tür aufstieß und stolpernd in den blendenden Sonnenschein hinaustrat. Sie war doch sonst nicht so impulsiv.
Sie war diszipliniert, handelte stets überlegt.
Aber in diesem Moment konnte sie einfach nicht anders. Diese fixe Idee hatte vollkommen von ihr Besitz ergriffen. Sie kam sich vor wie eine Figur in einem Hitchcock-Thriller.
Auf dem Gehsteig blickte Yuki sich um und sah Garza die McAllister entlanggehen. Mit hoch erhobenem Kopf bahnte er sich seinen Weg durch die Fußgängerscharen.
Yuki folgte ihm. Sie musste immer wieder laufen, um ihn einzuholen. Als sie nur noch wenige Schritte hinter ihm war, rief sie seinen Namen: »Garza!«
Der Arzt blieb stehen. Er fuhr herum und sah sie an, die Augen im grellen Sonnenlicht zusammengekniffen.
Yuki trat noch näher,
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