Die 5 Plage
direkt anzusprechen.
»Wir haben letzte Woche Dr. Garzas Aussage gehört«, fuhr sie fort. »Dr. Garza hatte in den letzten drei Jahren die Leitung der Notaufnahme des Municipal inne, und er leugnet nicht, dass während dieser Zeit die Sterblichkeitsrate der über die Notaufnahme eingelieferten Patienten in die Höhe geschossen ist.
Und Dr. Garza hat uns gesagt, was passiert ist. Er sagte: ›Manchmal weht ein böser Wind.‹
Meine Damen und Herren, so etwas wie einen ›bösen Wind‹ gibt es in einem Krankenhaus nicht. Aber böse Behandlungsfehler gibt es leider sehr wohl. Oder auch Kunstfehler, um den gängigeren Ausdruck zu benutzen.
Als ich Dr. Garza fragte, ob er etwas mit dem Tod dieser Patienten zu tun habe, sagte er: ›Ich verweigere die Aussage.‹
Das müssen Sie sich einmal vorstellen. Er hat die Aussage verweigert, weil er sich nicht selbst belasten wollte!
War das nicht schon Antwort genug? Natürlich war es das.«
Niemand hustete, der ganze Saal schien die Luft anzuhalten. O’Mara setzte ihr Plädoyer fort und sah dabei nacheinander jedem und jeder Geschworenen in die Augen.
»Aber wir fordern Sie nun auf, das Municipal Hospital für diesen ›bösen Wind‹ zur Verantwortung zu ziehen.
Wir fordern Sie auf, das Municipal dafür zu bestrafen, dass es den Profit über das Wohlergehen seiner Patienten gesetzt hat.
Und wir fordern Sie auf, meinen Mandanten fünfzig Millionen Dollar Schadenersatz zuzusprechen - eine Summe, die dem Krankenhaus wehtun wird, auch wenn sie den Verlust dieser zwanzig kostbaren Menschenleben nicht annähernd wiedergutmachen kann.
Meine Damen und Herren, dieses Krankenhaus muss daran gehindert werden, weiter Medizin als russisches Roulette zu betreiben - und Sie können es daran hindern.
Stellen Sie sich diese Frage: Wenn ein Mensch, der Ihnen nahesteht, krank oder verletzt wäre, würden Sie ihn oder sie dem Municipal Hospital anvertrauen wollen?
Würden Sie selbst sich dort behandeln lassen? Würden Sie es auch nur in Erwägung ziehen, nach allem, was Sie hier gehört haben?
Bitte nehmen Sie diese Überlegungen mit in das Geschworenenzimmer - und entscheiden Sie dann zugunsten meiner Mandanten und derer, die sie im Municipal verloren haben. Gewähren Sie ihnen die höchstmögliche Schadensersatzsumme. Ich danke Ihnen im Namen der Opfer und ihrer Angehörigen.«
104
Yuki wartete in der langen Schlange vor der Damentoilette. Mit verschränkten Armen und gesenktem Kopf stand sie da und dachte an O’Maras Schlussplädoyer, das sie ungeheuer beeindruckt hatte. Und wieder einmal fragte sie sich, warum sie ihre Mutter nicht aus dem Municipal herausgeholt hatte, bevor Garza, dieses Schwein, sie umgebracht hatte.
Die Schlange rückte so langsam vor, dass die Verhandlungspause fast schon um war, als sie die Toilette betrat.
Rasch drehte sie den Hahn auf und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Dann tastete sie blind nach den Papierhandtüchern.
Sie trocknete sich das Gesicht, und als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie Maureen O’Mara vor dem Spiegel stehen und ihr Make-up auffrischen.
Yuki freute sich, O’Mara zu sehen.
Sie gratulierte ihr zu ihrem Schlussplädoyer, stellte sich vor und fügte hinzu: »Ich arbeite in der Kanzlei Duffy & Rogers, aber ich bin hier, weil meine Mutter vor kurzem im Municipal gestorben ist.«
»Das tut mir leid für Sie«, sagte O’Mara und nickte knapp, ehe sie sich wieder dem Spiegel zuwandte.
Yuki fühlte sich durch O’Maras schroffe Art vor den Kopf gestoßen, doch einen Moment darauf sah sie bereits ein, dass die Klägeranwältin wohl in Gedanken schon bei Kramers bevorstehendem Abschlussplädoyer war.
Dass sie sich Sorgen um die Reaktion der Geschworenen machte.
Yuki knüllte ihr Papierhandtuch zusammen und warf es in den Abfalleimer. Dann riskierte sie noch einen Seitenblick auf O’Mara und musterte verstohlen das Spiegelbild der Anwältin.
Maureen O’Maras Kostüm war umwerfend. Ihre Zähne waren gebleicht, und ihr üppiges Haar hatte jenen seidigen Glanz, den man normalerweise nur aus der Shampoowerbung kennt. Die Frau achtet sehr auf ihre äußere Erscheinung , dachte Yuki, und diese Beobachtung irritierte sie aus irgendeinem Grund.
Sie musste daran denken, dass sie selbst seit Monaten nicht mehr beim Friseur gewesen war und immer nur abwechselnd eines von zwei dunkelblauen Business-Kostümen trug. Es war einfacher, wenn man nicht darüber nachdenken musste, was man anzog.
Seit dem Tod ihrer Mutter schien
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