Die 5 Plage
es ihr irgendwie nicht mehr so wichtig, wie sie aussah.
Neben ihr tupfte O’Mara ihren Lippenstift ab, strich sich eine verirrte Haarsträhne vom Kragen und verließ die Toilette, ohne Yuki eines weiteren Blicks zu würdigen.
Eine füllige Frau im Nadelstreifenkostüm fragte, ob es Yuki wohl etwas ausmachen würde, sie an den Seifenspender zu lassen.
»Nein, kein Problem.«
Yuki trat vom Waschbecken zurück und dachte: Gut, dann ist Maureen O’Mara eben eine verwöhnte Zicke, na und?
Yuki wollte trotzdem, dass sie gewann.
Sie wollte, dass sie triumphierte .
105
Lawrence Kramer ordnete seine Papiere, während der Richter seinen Platz einnahm und der Gerichtsdiener um Ruhe im Saal bat. Er fühlte sich stark, er konnte es kaum erwarten anzufangen, und er war froh, dass er am Morgen seine fünf Meilen gelaufen war und diese Oase der ungestörten Konzentration genutzt hatte, um sein Abschlussplädoyer noch einmal durchzugehen.
Er war bereit.
Wenn dieser Trottel von Garza nicht gewesen wäre, hätte er keinen Zweifel gehabt, wie das Urteil lauten würde. Dieser Blödmann würde deswegen gefeuert werden. Aber sollten sie den Prozess verlieren, wäre das nur ein schwacher Trost.
Kramer stand auf, als der Richter seinen Namen rief. Er knöpfte sein mitternachtsblaues Jackett zu und begrüßte die Geschworenen herzlich, als kennte er sie schon seit Jahren.
»Es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen menschlichem Versagen und echten Kunstfehlern, bei denen es sich um eine Verletzung der ärztlichen Berufspflicht handelt«, sagte Kramer und stimmte seine Zuhörer damit auf den Ton seines Abschlussplädoyers ein.
»Führen Sie sich einmal vor Augen, wie es in der Notaufnahme eines Krankenhauses zugeht. Ständig werden neue Patienten eingeliefert, schwer krank oder verletzt, Opfer von Stürzen, Autounfällen, Menschen, die traumatisiert sind und manchmal nicht einmal mehr sprechen können.
Machen Sie sich klar, in welchem Tempo Entscheidungen getroffen werden müssen, um das Leben eines Menschen zu retten, selbst wenn der Arzt den Patienten gar nicht kennt, wenn er seine Krankengeschichte nicht zur Hand hat, wenn keine Zeit für ausgiebige Tests bleibt.
Wenn ein Arzt zu schnellem Handeln gezwungen ist, um ein Leben zu retten, muss er oft eine Gewissensentscheidung treffen.
Ich will Ihnen erklären, was ich damit meine.
Eine fünfundsechzigjährige Frau, eine Frau wie Ihre oder meine Mutter, wird mit einer transitorischen ischämischen Attacke in die Notaufnahme eingeliefert. Dabei handelt es sich um einen Mini-Schlaganfall, der mit Herzrhythmusstörungen einhergeht und unbehandelt zum Tode führen könnte.
Der Arzt beschließt, die Patientin mit einem Blutverdünnungsmittel zu behandeln, um das Gerinnsel aufzulösen.
Ein anderer Arzt würde vielleicht entscheiden, dass es das Beste für die Patientin wäre, ihr sofort einen Herzschrittmacher einzusetzen.
Das meine ich mit einer Gewissensentscheidung.
Wie auch immer der Arzt sich entscheidet, er geht ein gewisses Risiko ein; die Patientin könnte bei der Operation sterben, sie könnte aber auch an den Medikamenten sterben...«
»Kramer! Ja, ich rede mit Ihnen! Sie Schwein! Sie widerliches Stück Scheiße! Was fällt Ihnen ein, hier den Tod meines Sohnes herunterzuspielen?«
Der Mann, der ein paar Reihen hinter dem Tisch der Verteidigung saß, war aufgesprungen und brüllte aus voller Lunge. Es war Stephen Friedlander, der Vater des Jungen, der an einer Insulindosis gestorben war - einer Infusion, die für seinen entlassenen Bettnachbarn bestimmt gewesen war.
Friedlanders Gesicht war grau und fleckig, seine Muskeln verkrampft, und er zeigte immer wieder auf Kramer.
»Zur Hölle mit Ihnen!«, sagte er zu Kramer.
Dann drehte er sich zum Tisch der Verteidigung um und deutete nacheinander auf die drei Anwälte von Kramers Team, zwei junge Männer und eine Frau, die ihn erschrocken anstarrten. »Und zur Hölle mit Ihnen! Und Ihnen! Und Ihnen!«
»Entfernen Sie diesen Mann!«, rief der Richter dem Gerichtsdiener zu. »Er macht sich der Missachtung des Gerichts schuldig.«
»Euer Ehren!«, appellierte Kramer an Richter Bevins. »Das ist schlichte Schocktaktik! Die Vertreterin der Anklage hat diesen Auftritt inszeniert!«
»Das soll ich gewesen sein?«, schoss O’Mara zurück. »Sind Sie wahnsinnig?«
»In mein Amtszimmer!«, knurrte Bevins. »Alle beide!«
Da hörte Kramer eine Frau schreien. Er fuhr herum und blickte in Friedlanders verzerrtes
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