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Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte

Titel: Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Friedfertigkeit und ihres mangelnden Widerstandes in der Geschichtsschreibung kaum auf, im Unterschied zu den yakima und anderen Stämmen, die gegen die Weißen Krieg führten.
    Dass dieser Suquamish-Häuptling Seathl bei den Verhandlungen mit Gouverneur Stevens die Küstenindianerstämme vertreten und im Vorfeld der Unterzeichnung des Vertrages von Port Elliott im Januar 1855 eine Rede gehalten hat, ist sicher. Nur ist der Inhalt dieser Rede höchst umstritten.
    Zunächst war die Rede nicht an den US-Präsidenten adressiertund wurde auch nicht in dessen Anwesenheit gehalten. Der Häuptling sprach vielmehr anlässlich der Unterzeichnung jenes Vertrages, der das Schicksal der Indianer der Küste besiegelte, zu Gouverneur Stevens. Überliefert ist auch, dass Häuptling Seattle eine halbe Stunde lang sprach. Der Inhalt seiner Rede ist dagegen nicht zweifelsfrei dokumentiert.
    Die früheste Überlieferung des Inhalts der Rede stammt aus dem Jahr 1887, also mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ereignis selbst. Damals schrieb ein weißer Augenzeuge auf, was Seattle vor dem Gouverneur sagte. Allerdings ist bereits diese Version kritisch zu beurteilen, weil Seattle in seiner Muttersprache redete. Offenbar verstand der Augenzeuge zwar die Indianersprache, einen Salish-Dialekt, aber wie authentisch die englische Wiedergabe ist, lässt sich nicht mehr klären. Da der Protokollant den Häuptling persönlich kannte, spricht viel dafür, dass er den Gehalt seiner Rede einigermaßen authentisch wiedergegeben hat, wenn auch nicht als zuverlässiges Protokoll.
    Wie vorsichtig der Wahrheitsgehalt der Nachschrift auch zu bewerten ist – sie ist die wichtigste Quelle für den Inhalt der Rede. Allerdings geht es in dieser ältesten Überlieferung der Rede in keinem Wort um Umweltgefahren, wenn auch ein möglicherweise authentischer Satz entsprechend ausgelegt werden kann: Seathl sagte, »Jeder Teil dieses Landes ist meinem Volk heilig«, aber das bezog sich weniger auf die Bewahrung einer intakten Umwelt als auf die Tatsache, dass die verehrten Toten der Indianer auf diesem Land begraben waren. Die Rede Seathls ist vielmehr eine traurige Reflexion des Schicksals der Indianer Nordamerikas, die dem Expansionsdrang der Weißen weichen müssen. Sie ist auch ein Plädoyer für den Respekt der Weißen vor den Toten der Indianer: Denn nach Überzeugung der Indianer werden sie das Land auch dann noch bevölkern, wenn ihre Stämme längst ausgestorben sind. Und darüber, dass die UreinwohnerNordamerikas gegen die Weißen keine Chancen hatten, gab sich Seathl keinen Illusionen hin. Er starb 1866 im Reservat seines Volkes unweit der Stadt, die nach ihm benannt wurde.
    Der Protokollant, der die Rede des Häuptlings 1887 im Seattle Sunday Star veröffentlichte, stellte dem Redetext ein Porträt des Häuptlings voran, den er offenbar sehr bewunderte. Danach besaß Seathl Würde und Charisma und strahlte Autorität aus, wenn er sein übliches Schweigen unterbrach und das Wort ergriff. Zudem genoss er bei den Weißen hohes Ansehen. Diese positive Charakterisierung des edlen, würdigen Häuptlings mag auch daher kommen, dass viele Einwohner Seattles ganz und gar nicht auf der Seite ihres Gouverneurs waren, wenn es um die Belange der Indianer ging, sondern sich offen widersetzten.
    Diese verspätete Abschrift der Rede des Häuptlings Seathl erfuhr mehrere Redaktionen. Sie wurde von dem amerikanischen Literaturwissenschaftler William Arrowsmith in den Sechzigerjahren in ein Englisch gebracht, das der Sprache der Indianer näher sein soll als die von klassischer Bildung geprägte bisherige Version. Inhaltlich hat Arrowsmith aber nichts verändert.
    Jene Version der Rede hingegen, die die westliche Umweltbewegung so gerne zitierte, ist entschieden zweifelhaften Ursprungs. Sie hat nämlich nur noch wenig Ähnlichkeit mit der Version des Mannes, der bei der Rede anwesend war und den Häuptling und die Umstände des Vertrages kannte.
    Die heute bekannteste und erheblich verfälschte Version der Rede des Häuptlings Seathl wurde durch den Umweltschutzfilm Home von 1972 bekannt, der unter anderem in deutschen Schulen gezeigt wurde. Darin wird Häuptling Seathl romantisch als Visionär verklärt. Für die Umweltbewegung war diese Fassung so attraktiv, weil hier ein vermeintlicher Prophet der Umweltzerstörung des 20. Jahrhunderts sprach, obwohl diese zu seiner Lebenszeit in Nordamerika noch gar nicht absehbar war. In derFolge veränderte sich auch der angebliche

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