Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte
Briten hätten Brasilien damals widerrechtlich um den verdienten Gewinn an der Ausbeute eines einheimischen Baumes gebracht. Ein englischer Abenteurer habe sich im Auftrag der Krone über das Verbot der Ausfuhr von Kautschuksamen hinweggesetzt, obwohl darauf die Todesstrafe gestanden habe. Das kann man daneben weltweit in zahllosen Büchern und seriösen Lexika nachlesen.
Der gerühmte und verdammte Abenteurer war ein junger Mann namens Henry Wickham, der in der Fremde zu Ruhm und Geld kommen wollte. 1876 lebte er bereits ein paar Jahre reichlich erfolglos in Amazonas, als er von den Plänen erfuhr, den Anbau von Kautschuksamen in britischen Kolonien zu versuchen, und sich als kundiger Sammler anbot. Zu diesem Zeitpunkt hatten schon andere im Auftrag Londons erfolglos versucht, den kostbaren Samen nach England zu bringen. Weil die Zeit drängte, nahm man das Angebot Wickhams an, auch wenn man ihn eher für einen inkompetenten Aufschneider hielt. Aber Wickhamschaffte es tatsächlich, genügend Samenkapseln zu sammeln und unversehrt nach London zu bringen, bevor sie ihre Keimfähigkeit verloren. Dort zog man in den Royal Botanic Gardens von Kew bei London Setzlinge heran, transportierte sie nach Übersee und versuchte in verschiedenen botanischen Gärten der Kolonien den Anbau.
Wickham wurde für den erfüllten Auftrag vertragsgemäß entlohnt, aber er hatte sich mehr erhofft. Um seine Rolle bei der historischen Tat gewürdigt zu wissen, veröffentlichte er einen Erlebnisbericht über sein Kautschukabenteuer, in dem er seine Rolle im rechten Licht erscheinen lassen wollte. Er beschrieb, wie sein besonderes Geschick erst ermöglicht hätte, die Samen außer Landes und schnell genug nach Europa zu bringen. Dabei nahm er es mit der Wahrheit nicht allzu genau, wie es damals in den Büchern von Abenteurern üblich war. Ihre Berichte waren sehr beliebt, und wer besonders Spannendes zu berichten hatte, konnte damit die Reisekasse der nächsten Unternehmung auffüllen. Ebenso verklärte Wickham seine Tat − je älter er wurde, desto mehr: Nur unter größter Gefahr und Einsatz seines Lebens sei es ihm gelungen, die Samen aus Brasilien herauszuschmuggeln. In hohem Alter und angesichts des nunmehr britischen Kautschukmonopols mit einem ungeheuer gewinnbringenden Wirtschaftszweig in Südostasien erfuhr Wickham dann tatsächlich eine späte Anerkennung: Er wurde geadelt und erhielt eine Leibrente.
In Wahrheit gab es aber gar kein Gesetz, das die Ausfuhr von Kautschuksamen aus Brasilien verbot. Wickham musste also auch nicht allzu viel verschwörerischen Aufwand betreiben, um seine wertvolle Fracht durch den Zoll zu bekommen. Er musste sich allerdings beeilen, um keine wertvolle Zeit zu verlieren, in der die empfindlichen Samen verderben mochten. Die Brasilianer wiederum konnten sich gar nicht vorstellen, dass ihr wertvollsterBaum auch anderswo gedeihen könnte, schon gar nicht in Asien. Die Überlegungen der Briten, die eigene Industrie mit ihrem Hunger nach Gummi vom launischen brasilianischen Kautschukmarkt unabhängig zu machen und selbst Kautschukproduzent zu werden, waren kein Geheimnis. Dasselbe hatte Großbritannien kurz zuvor schon mit der peruanischen Chinarinde gemacht: Um Chinin selbst und in ausreichender Menge herstellen zu können und damit seine Soldaten in Indien vor der Malaria zu schützen, hatte man den peruanischen Baum nach Asien verpflanzt.
Die Brasilianer dagegen wiegten sich in der trügerischen Sicherheit, die Nachfrage nach brasilianischem Kautschuk werde kein Ende finden. Ein Gesetz, das Brasilien als Kautschukland schützen sollte, wurde erst erlassen, als es längst zu spät war. Aber dann wurde der Mann, der den asiatischen Kautschuk möglich gemacht hatte, in Brasilien zum Sündenbock für eine sich anbahnende Entwicklung, die man leichtfertig ignoriert hatte. Die Ausschmückungen Wickhams kamen da gerade recht, um die Verantwortung für den Coup, der die brasilianische Wirtschaft um riesige Renditen brachte, auf die Nutznießer abzuwälzen. Dabei hätte Brasilien den weiter steigenden Bedarf auf Dauer ohnehin nicht befriedigen können. Denn der Hunger der Weltwirtschaft nach Kautschuk stieg immer weiter, schon weil der Markt für Autos keine Grenzen kannte.
Aber auch Großbritannien kam letztlich nur durch die Hartnäckigkeit einer Handvoll Männer zu dem Bombengeschäft mit dem elastischen Material. Die Regierung hatte sich kaum für die Idee interessiert, und es bedurfte der jahrzehntelangen
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