Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte
Forschungsthemen nicht allzu weit oben stand. Da half auch nicht viel, dass der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel die Verbrechen an den Armeniern als »Holocaust vor dem Holocaust« bezeichnete. Hinzu kam eine Rücksichtnahme gegenüber der Türkei und insbesondere ihrer Militärs, die sich eine externe Beurteilung dieses Teils ihrer Geschichte als unerwünschte Einmischung verbaten. Und Armenien als Teil der sowjetischen Einflusssphäre war aus dem Blickfeld des Westens ohnehin weitgehend verschwunden.
Als das Schicksal der Armenier schließlich ins europäische Bewusstsein eindrang, wurde es sogar zu einem Thema der Tagespolitik – denn es prägt bis heute die Beziehungen des mittlerweile unabhängigen Armenien zur Türkei ebenso wie die Beziehungen der Türkei zur westlichen Welt, insbesondere der Europäischen Union. Am Thema Armeniermord entzünden sich immer wieder erbitterte Diskussionen, und in der Türkei waren die Ereignisse von 1915 vor noch nicht allzu langer Zeit ein absolutes Tabu. Aber auch heute noch werden Intellektuelle vor türkische Gerichte zitiert, wenn sie die »Umsiedlungen« der armenischen Bevölkerung als Genozid bezeichnen, und die türkische Diplomatie reagiert erzürnt auf die Behandlung des Themas als Völkermord in westlichen Medien und Schulbüchern. Parlamente der EU befassten sich mit den Ereignissen, die doch schon fast ein Jahrhundert zurückliegen. Im Juni 2005 verabschiedeteder Deutsche Bundestag eine Armenien-Gedenkresolution; im Oktober 2006 beschloss gar das Parlament Frankreichs, die Leugnung des Völkermords an den Armeniern unter Strafe zu stellen. Frankreich hat einen besonders hohen Anteil armenischer Einwanderer, darunter als bekanntester der Chansonnier Charles Aznavour, dessen Eltern sich vor der Vernichtung nach Paris hatten retten können. Die offizielle Türkei fasst solche Parlamentsbeschlüsse ebenso als Affront auf wie die Auszeichnung des türkischen Schriftstellers Orhan Pamuk mit dem Literaturnobelpreis 2006. Pamuk hat sein Land immer wieder wegen seines Umgangs mit den Verbrechen an den Armeniern kritisiert. Die Diskussion in der Türkei schwankt zwischen der Fortsetzung der Verdrängung und dem Wunsch nach Aufklärung. Beim EU-Beitrittskandidaten und der Europäischen Union, ob im Streben nach Gerechtigkeit oder als Argument gegen einen EU-Beitritt – das Thema ist hochaktuell.
Es mag den Hunderttausenden Opfern und ihren Angehörigen heute nicht mehr viel helfen, aber wichtig bleibt dennoch die Frage, als was die Politik der damaligen Türkei historisch eingeordnet werden muss. Handelte es sich um eine skandalös menschenverachtende Umsiedlung, die aufgrund der Umstände und der Ignoranz des Staates gegenüber ihren armenischen Bürgern zu einem Desaster geriet? Oder war es ein planvoll ausgeführter Völkermord, mit dem sich das Osmanische Reich im Sinne eines türkischen Nationalismus in der Endphase seines Niedergangs einer missliebigen Bevölkerungsgruppe entledigen wollte?
Von Pogromen gegen die Armenier erfuhr die europäische Öffentlichkeit erstmals 1894. Im Ersten Weltkrieg wurden die Verfolgungen jedoch umfassender – angeblich, um einem Aufstand der Armenier vorzubeugen, müssten sie »umgesiedelt« werden, so die Begründung der Behörden, was in einer dramatischhohen Zahl der Fälle den Tod bedeuten sollte. Zuvor war die Bevölkerung gegen ihre armenischen Mitbürger mit allerlei Propaganda und geschickt gestreuten Gerüchten aufgehetzt worden – was den Drahtziehern nötig schien, weil die muslimischen und christlichen Bevölkerungsgruppen in Anatolien sich recht gut verstanden. Die politische Führung unterstellte den Armeniern Sympathie für den Kriegsgegner Russland; erwünschte Geständnisse über Pläne für Aufstände oder Hochverrat wurden mit grausamer Folter erpresst. All dies ist von ausländischen Diplomaten und Geheimdienstmitarbeitern unterschiedlichster Couleur – also auch aus mit dem Osmanischen Reich verbündeten Ländern wie Deutschland – umfassend dokumentiert und nach Hause berichtet worden.
Im Mai 1915 kam es zur bisher größten Deportationswelle. Vertretern verbündeter Länder gegenüber äußerten türkische Würdenträger, wie der später ermordete Talat Pascha, während der Operation ganz offen, den armenischen Bevölkerungsanteil des Osmanischen Reiches vollständig zu vernichten. Zum Teil ohne jede Nahrung mussten die Bewohner ihre Häuser verlassen und zunächst im unwirtlichen Gelände leben. Im
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