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Die 500 (German Edition)

Die 500 (German Edition)

Titel: Die 500 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Quirk
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Polizisten ins Gebäude. Einige bezogen vor der Herrentoilette, andere am Haupttreppenhaus Position. Ich war mir jetzt ziemlich sicher, dass alle Ausgänge bewacht waren. Dann kam mir ein Gedanke. Ihn als Plan zu bezeichnen wäre wahrscheinlich etwas übertrieben, aber da mir nichts Besseres einfiel, setzte ich ihn in die Tat um.
    Ich kroch durch einen nur selten benutzten Konferenzraum, kam so an den beiden davor postierten Polizisten vorbei und schaffte es bis in die Damentoilette. Da die Davies Group eine Art Herrenclub war und nur drei weibliche Senior Associates hatte, die anscheinend alle außer Haus waren, standen meine Chancen gut, dass ich dort ein Örtchen ganz für mich hatte. Die Polizisten waren, soweit ich das mitbekommen hatte, alle Männer. Mit dem hübschen Paar Jimmy-Choo-Slingback-Pumps, das ich aus Jens Bestand hatte mitgehen lassen, müsste es möglich sein, die Razzia auf der Damentoilette auszusitzen.
    Der Plan entsprach natürlich nicht ganz der reinen Macholehre, die blaue Uniformphalanx einfach boxend und um mich tretend zu durchbrechen, aber eins war sicher, diese Damentoilette war eine Schau. Blumengebinde, Ruhecouch, Zeitschriften. Ich fühlte mich eindeutig diskriminiert, als ich mir die neueste Ausgabe von Martha Stewart Living schnappte und mich in der letzten Kabine niederließ.
    Es schien zu klappen. Eine Stunde lang durchsuchten die Bullen das Haus, ohne mich zu behelligen. Dann hatte offenbar einer der Beamten den Mut aufgebracht, auch die Damentoilette zu kontrollieren. Ich hatte gehofft, das würde mir erspart bleiben, aber ich quetschte meine Füße in die High Heels, was nicht ohne quietschendes Leder und ein paar aufgeplatzte Nähte abging.
    Als ich hörte, wie der Polizist nacheinander die Kabinentüren aufstieß, war ich froh, dass ich die Schuhe mitgenommen hatte. Wenn ich mich einfach auf die Schüssel gehockt und er an der verschlossenen Tür gerüttelt hätte, wäre ich geliefert gewesen.
    Als er zu meiner Tür kam, ließ ich mein anmutigstes Räuspern hören.
    »Tschuldigung, Ma’am«, sagte er. Ich hörte, dass er näher an die Kabine herantrat, dann ein leises Stöhnen, wahrscheinlich, als er sich bückte, um unter der Tür durchzuschauen. Ich zog die Beine meiner Anzughose etwas nach unten, um so viel wie möglich von meinen Füßen zu bedecken. Schätze, ich bot knöchelabwärts ein ganz passables Bild vom schöneren Geschlecht.
    Seine Schritte wurden wieder leiser, dann ging die Tür auf, und ich stieß leise den Atem aus. Nicht gerade Die Flucht von Alcatraz , aber es hatte funktioniert.
    Dann hörte ich im Gang Stimmen. Die Tür öffnete sich wieder, und ich hörte Schritte auf den Fliesen. Nicht gut.
    Eine Stunde in einer Toilette eingesperrt zu sein ist eine lange Zeit, in der ich zwei Dinge lernte. Erstens, dank Martha , dass ich etwas gegen das Chaos in meinen Schubladen unternehmen musste, und zweitens, was wichtiger war, dass es auch etwas Gutes hatte, von Henry Davies zwei Morde angehängt zu bekommen. Sicher, in Virginia, wo ich vor Gericht kommen würde, gab es immer noch die Todesstrafe, und die wurde auch immer noch verhängt. Aber ich versuchte mich an die Devise zu halten, dass das Glas immer halb voll ist, und Tatsache war nun mal, dass ich jetzt wirklich nichts mehr zu verlieren hatte. In guter Business-Diktion: Die Marginalkosten für weitere Verbrechen lagen bei null. Ich konnte auf den Putz hauen und jede kriminelle Fantasie ausleben, die ich in den letzten zehn Jahren krampfhaft unterdrückt hatte, und das würde meine Situation auch nicht weiter verschlimmern, weil nämlich Marcus und Davies mich im Visier hatten und ich also ohnehin geliefert war.
    Als der Polizist nun das zweite Mal vor meiner Kabinentür stand, beschleunigte sich mein Puls um ein paar Schläge: auch vor Angst, klar, aber hauptsächlich, weil ich mich befreit fühlte. Kein Verstecken und Warten mehr. Als er seinen Kopf unter der Tür durchsteckte, sah ich genau jenen Bullen vor mir, der mir vor langer Zeit Handschellen angelegt und mich auf den Rücksitz des Streifenwagens gestoßen, dabei meine Teenagernase gegen den Türrahmen geknallt und die Aktion kichernd mit »Hoppla« kommentiert hatte. Ich sah jenes Stück Scheiße mit Plattschädel vor mir, das eines Morgens, als ich zwölf war, bei uns vor der Tür gestanden und mir für immer meinen Vater weggenommen hatte. Ich sah den fetten Gefängniswärter vor mir, der meine vom Krebs ausgemergelte Mutter im Besucherraum in

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