Die 500 (German Edition)
alles ausgeht. Ich hab … ich hab Angst. Möglich, dass ich mir mit Davies alles versaue, und das würde alles in Gefahr bringen: den Job, das Haus, vielleicht auch das mit uns beiden. Du stehst doch immer noch zu mir, oder? Ich meine, wenn es mich auf die Fresse haut und ich wieder mit nichts dastehe?«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute mich wütend an. Ich hatte sie nicht vor die Wahl stellen wollen zwischen mir und Davies, weil ich mir nicht sicher war, ob ich sie gewinnen würde. Möglich, dass sie nur deshalb an mir interessiert war, weil ich der Aufsteiger bei Davies war. Soweit ich wusste, hatte Davies unsere Beziehung eingefädelt – die neben einanderliegenden Büros, die Einteilung für dieselben Fälle. Sie arbeitete oft mit Davies zusammen, unter vier Augen, in seinem Büro. War der Gedanke so abwegig, dass er seine Vertraute in meiner Nähe platzierte, damit er mich besser unter Kontrolle hatte? Vielleicht. Aber angesichts von Davies’ Einfluss nicht völlig. Nein. Ich verscheuchte den Gedanken. Der Druck und die Angst gingen mir an die Nieren. »Entschuldige«, sagte ich. »Vergiss die Frage.«
»Das ist eine alberne Frage, Mike. Du weißt, dass ich zu dir stehe.«
Sie nahm mich in die Arme.
Die Frage war nicht deshalb dumm gewesen, weil die Wahrheit so naheliegend war, sondern weil ihre Antwort mir rein gar nichts sagte. Die Antwort war nicht stichhaltiger als meine, als Marcus und Davies mich gefragt hatten, ob ich bei der Vertuschung ihrer Geschichte mitspielen würde. Ihre Antwort konnte gar nicht anders lauten, egal, ob sie nun zu mir halten wollte oder nicht.
Ob wahr oder nicht, es war mir egal. Es fühlte sich einfach gut an, als sie es sagte.
Ich würde zur Polizei gehen, aber nicht weil ich das für den richtigen Schritt hielt. Tatsächlich war ich mir ziemlich sicher, dass mir das noch sehr viele Schmerzen bereiten würde. Ich war im Besitz von gefährlichen Informationen. Und vor Henry hatte kein Geheimnis lange Bestand. Aber eher ging ich auf ihn los, bevor ich darauf wartete, dass er sich auf mich stürzte.
19
H enry hatte angedeutet, dass er mich im Auge behalten würde. Doch irgendwelche Verfolger abzuschütteln, reale oder imaginäre, war noch das Einfachste an der Sache. Die Gegend um die 19th Street und die L Street NW gleicht einem dreidimensionalen Labyrinth aus gewöhnlichen Glasgebäuden, dunklen Seitengassen, Einbahnstraßen und Tiefgaragen, von denen jede vier Ausgänge hat. Ich verirrte mich fast.
Schwieriger war, ein funktionierendes öffentliches Telefon zu finden. Vor einem schäbigen griechischen Feinkostladen fand ich schließlich eins. Ich rief in der Zentrale der Metro Police an und ließ mich mit Detective Rivera verbinden, weil ich mich vergewissern wollte, ob er der war, für den er sich ausgegeben hatte.
Er war nicht an seinem Platz. Ich hinterließ eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter. Ich sagte, dass ich an einem sicheren Ort mit ihm sprechen wolle, vorausgesetzt, er könne mir seine Identität und seine Vertrauenswürdigkeit beweisen. Ich nannte ihm eine Hotmail-Adresse und ein Passwort. Wenn ich eine Nachricht für ihn hätte, würde ich sie im Ordner Entwürfe hinterlegen, ohne sie abzuschicken, auf gleiche Weise könnte er mit mir Kontakt aufnehmen. Ich hatte in einem Artikel gelesen, dass Terroristen so miteinander kommunizierten. Ich dachte mir, wenn das bei den Taliban klappte, dann stünden die Chancen gut, dass ich so elektronischen Schnüffel attacken von Henry entgehen konnte.
Nach meinem Anruf bei Rivera war die schleichende Übelkeit der letzten Wochen, die Angst, die ihre Ursache allein in der gespannten Erwartung gehabt hatte, fast schlagartig verschwunden. So wahnwitzig der Plan auch sein mochte, jetzt, da ich gegen Henry Davies vorging, fühlte ich mich erleichtert, fast manisch.
Bis dahin hatte ich es kaum ertragen, wie sich die Lügen über den Mord in den Nachrichten ausbreiteten. Aber jetzt änderte sich alles. Mit wachsender Befriedigung beobachtete ich, wie sich Henrys kleine Geschichte – ein besessener Haskins hatte erst Irin und dann sich selbst umgebracht – auf den Titelseiten entfaltete.
Das FBI war eingeschaltet worden, um die Einzelheiten der Todesfälle in Fauquier County zu untersuchen. Angesichts der Akribie, mit der bei einem derartigen Ereignis zu Werke gegangen wurde, würde selbst Henry nicht mehr vertuschen können, dass es sich in beiden Fällen um Mord handelte. CNN zitierte Quellen,
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