Die 500 (German Edition)
der über zahllose Nebenjobs auf dem Schwarzmarkt verfügte, hielt sich die Dreizimmerhütte für Fälle, in denen er hundertprozentige Abgeschiedenheit brauchte.
»Und der Geruch?« fragte ich. Es roch nach einer Mischung aus Körperschweiß und Socken.
»Letzte Woche hatte ich einen Haufen Salvadorianer hier, neunzehn oder zwanzig.«
Alles klar.
»Hast du alles?«, fragte ich.
Er nahm die sechs Konservendosen für mein Chili aus der Tasche und einen Briefumschlag. Darin befand sich eine schwe re goldene Dienstmarke, die oben mit einem Adler ab schloss. In der Mitte prangte das Wappen des Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives mit den Schriftzügen »Department of Justice« darüber und »Special Agent« darunter.
Ich schaute auf meine Uhr. Annie hätte schon vor zwei Stunden kommen sollen. Seit unserer Begegnung im Wald letzte Nacht hatte ich sie nicht mehr gesehen. Ich befürchtete, dass Marcus und Henry ihr doppeltes Spiel entdeckt und sie getötet oder ihr etwas Schlimmes angetan haben könnten. Weiß Gott, wozu sie fähig waren.
Mein Vater hatte stundenlang die Grundrisspläne des Justizministeriums studiert. Nach dem, was Langford mir erzählt hatte, waren nur die Kellerräume groß genug für die Menge an archivierten Akten. Dort musste sich der Beweis gegen Henry befinden.
In der Brandschneise, die unterhalb der Hütte verlief, tauchten Scheinwerfer auf. Cartwright machte das Licht aus. Wir nahmen unsere Plätze ein: mein Vater mit der Schrotflinte an der Vordertür, Cartwright und ich mit AR-15-Gewehren an den Fenstern.
Wenn sie Annie zum Reden gebracht hatten, dann hatte sie Henry und Marcus zu uns geführt.
Der Wagen hielt an. Eine Autotür wurde zugeschlagen. In der mondlosen Nacht war nicht zu sehen, wer sich der Hütte näherte.
»Plastik«, rief Annie.
Das Passwort. Es sollte nicht melodramatisch klingen, so war ich auf Die Reifeprüfung gekommen. Wir ließen die Waffen fallen. Ich lief nach draußen, schloss Annie in die Arme und führte sie in die Hütte.
»Reizend«, sagte sie, als sie unsere Bruchbude betrat und ihre Jacke auf einen Stuhl warf.
»Jeffrey Billings«, sagte sie.
Mein Vater und ich schauten uns an.
»Der Name auf der Akte?«, fragte ich.
»Ja«, sagte sie.
Jetzt hatten wir alles, was wir brauchten, um Henry zu erledigen. Ich hob sie hoch und wirbelte sie herum. Sie verzog das Gesicht vor Schmerzen.
»Alles okay?«, fragte ich.
»Ja«, sagte sie.
Etwas stimmte nicht. Sie hatte rote Ränder um die Augen. Als hätte sie geweint. Vorsichtig schob ich den Ärmel ihrer Bluse zurück und schaute mir ihren Unterarm am. Über ihrem Handgelenk hatte sie einen blauen Fleck.
»Henry? Weiß er Bescheid? Bist du deshalb zu spät gekommen? Hat er dir etwas angetan?«
»Nein«, sagte sie und lachte, um den Schmerz zu überspielen. »Nicht Henry. Als er im Wald mein Gesicht gesehen hat, hat er sofort angenommen, dass du versucht hättest, mich zu töten. Er hat nicht den leisesten Verdacht. Sie sind unvorsichtig geworden. Ich hab zufällig gehört, wie sie über den Namen auf der Akte gesprochen haben.«
»Das da«, sagte sie und deutete auf ihr Handgelenk. »Das war Dragov i ´ c .«
»Radomir? Er ist im Land?«
»In D C. Als ich heute Abend aus dem Büro kam, waren da plötzlich diese beiden Typen, die für ihn arbeiten. Sie haben mich an den Armen gepackt und gezwungen, in ihren Wagen zu steigen. Wir sind zu einem Nachtclub gefahren.«
Das White Eagle. Eine alte Beaux-Arts-Villa, wo Aleksandar und Miroslav Hof hielten. Tummelplatz der arabischen und neuen osteuropäischen Geldelite.
»Sie haben mich in ein Hinterzimmer geführt. Als ich flie hen wollte, haben sie mich an den Handgelenken gepackt und festgehalten.« Sie zog den Ärmel wieder herunter. »Dann haben sie mich zu Dragomir gebracht. Er war gerade beim Abendessen.«
»Was wollte er?«
»Dich«, sagte Annie. »Ich habe ihm gesagt, dass du verschwunden bist, dass ich auf ihrer Seite stehe, dass ich für Henry arbeite und der zusammen mit der Polizei versucht, dich zu finden. Das schien ihn alles gar nicht zu interessieren.
Ich habe versucht, ihn abzuschrecken. Ich habe ihm gesagt, dass Henry es nicht hinnehmen würde, wenn man mich so behandelte, dass er ein sehr einflussreicher Mann sei. Das sei ihm alles egal, sagte Dragomir. Henry könne ihn nicht aufhalten, niemand könne ihn aufhalten, für die Ehre sei ihm kein Preis zu hoch.
Er stand dicht hinter mir, ich konnte seinen Atem auf meinem
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