Die 500 (German Edition)
wieder zurück. Kurz vor dem Ausgang nutzte ich das allgemeine Durcheinander und verdrückte mich in Richtung Treppenhaus.
Meine SMS war das Signal für meinen Vater gewesen, im Justizministerium anzurufen und eine Bombendrohung durchzugeben. Er hatte seine Strafe abgesessen. Mit der eigentlichen Drecksarbeit, dem Einbruch, sollte er nichts zu tun haben, das war ganz allein meine Sache.
Das Gebäude war jetzt vollkommen leer. Nachdem ich mit dem Stemmeisen zwei Türen aufgebrochen hatte, befand ich mich im untersten Kellergeschoss, wo laut Langford der Beweis gegen Henry versteckt sein musste.
Es sah aus, als wäre seit den Siebzigern niemand mehr hier unten gewesen. Die Wände waren aus Beton. In etwa eineinhalb Meter hohen Industrieregalen stapelten sich verstaubte Aktenkartons. Metallkäfige unterteilten den Raum, und dicht über meinem Kopf verliefen Leitungsrohre.
Irgendwo in diesem Labyrinth versteckte sich das Einzige, was jetzt noch meinen Arsch retten konnte – und den von meinem Vater und von Annie: der Aktenordner, auf dem ein Etikett mit dem Namen Jeffrey Billings klebte. Ich betrat den ersten Käfig, klappte Ordner auf und blätterte. Manche wa ren alphabetisch geordnet, andere nicht. Ich überflog die Na men auf den Ordnerrücken, suchte in den Beschriftungen nach Hinweisen auf den Inhalt. Ich konnte kein System erkennen. Auf manchen standen Daten, auf anderen Namen oder Kennziffern. Ich durchsuchte alle Ordner, deren Beschriftung auf Akten mit dem Anfangsbuchstaben ›B‹ hindeutete. Ich fand keinen Billings.
Ich konnte hören, dass draußen Sirenen heulten. Viel Zeit hatte ich nicht, bis das Bombenräumkommando anrückte und das Gebäude durchkämmte. Ich trat einen Schritt zurück und versuchte ruhig und systematisch zu denken. In der Akte mussten sich Blut- und Gewebeproben und das Protokoll der Polizei befinden. Sie musste dick sein. Ich stand in der Mitte des Raums und schüttelte meine Hände aus.
Irgendwo links von mir quietschte eine Tür. Ich war nicht allein. Ich duckte mich hinter eine Reihe Kartons und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Schritte, von vorn.
Ich ging vorsichtig hinter den Kartons entlang und schaute durch die Zwischenräume und die Gitter der Metallkäfige.
Dann sah ich sein Gesicht. Man ist nie allein, wenn William Marcus hinter einem her ist. Ich bewegte mich von ihm weg. Ich musste die Akte finden, bevor er sie oder mich entdeckte. Ich hatte das Stemmeisen. Er hatte eine Knarre. Ich war mir ziemlich sicher, dass er mich nicht gesehen hatte. Andernfalls würde er sich bereits in meine Richtung bewegen.
Er drehte langsam eine Runde durch den Raum. Ich ging ihm im Schutz der Kartons ein Stück voraus, blieb hinter einem Regal stehen, hob das Stemmeisen hoch und wartete, dass er an mir vorbeikam. Ich hatte einen Versuch. Wenn ich ihn ausschaltete, konnte ich mich ungestört auf die Suche nach der Akte machen.
Ich konzentrierte mich, atmete flach durch den Mund. Er musste jeden Augenblick auftauchen. Ich umfasste den Griff des Stemmeisens fester, spürte den kalten Schweiß auf dem Metall.
Fünf Sekunden vergingen. Zehn. Zwanzig.
Er kam nicht.
Dann hörte ich ein metallisches Scheppern. Ich schaute in den Gang. Die Tür war zu. Von Marcus nichts zu sehen.
Ich wartete noch ein paar Sekunden. Stellte er mir eine Falle? Hatte er die Akte schon gefunden? Dann roch ich es. Ich kannte diesen Geruch gut. Er hatte mich durch meine ganze Kindheit begleitet: der nach abgestandenem Kohl riechende Gestank von austretendem Gas.
Marcus hatte das Ventil von einer unter der Decke verlaufenden Gasleitung abgeschlagen. Das Leck war etwa fünfzehn Meter von mir entfernt. Qualm breitete sich aus. Dann roch ich brennendes Papier. An der gegenüberliegenden Wand schlugen unten aus einem Kartonstapel Flammen.
Er hatte weder die Akte noch mich gefunden und sich dafür entschieden, beide Probleme mit einem netten kleinen Inferno aus der Welt zu schaffen. Ich drehte mich um und entfernte mich von den Flammen. Ich befand mich im Innern eines der Käfige, aber um zum Ausgang zu gelangen, musste ich auf das Feuer zugehen.
Ich hörte ein Brausen. Das Gas hatte sich entzündet. Eine heiße Druckwelle rollte über mich hinweg. Jeden Augenblick würden die Flammen folgen. Ich würde es nie schaffen, aus dem Keller herauszukommen. An einer Seite des Käfigs stand ein leerer, offener Tresor, etwa eineinhalb Meter breit und hoch und einen Meter tief. Ohne nachzudenken, duckte ich mich
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