Die 500 (German Edition)
die Leute hier auf der sozialen Leiter ein paar Sprossen über mir standen. Jetzt wusste ich es.
»Haben Sie gedacht, Sie sind wegen Ihrer schillernden Persönlichkeit hier?«
»Ich hab gedacht, Sie fühlen sich einsam ohne mich.« Ich schaute wieder zu Walker. »Keine Angst. Bin schon unterwegs.«
Ich schlängelte mich zur Glasveranda durch, wo die Bar aufgebaut war, und postierte mich in Walkers Umgebung, ohne mich zu offensichtlich an ihn heranzumachen. Bedauerlicherweise musste ich meine Bestellung von Maker’s Mark auf Tonic mit Zitrone ändern, den offiziellen Drink, wenn man bei Verstand bleiben wollte, während sich die anderen den ihren wegsoffen.
Wenn man vom Teufel spricht: Jemand klopfte mir auf die Schulter, und als ich mich umdrehte, schüttelte er mir schon routiniert die Hand. Der Stier kommt in die Arena.
»Wie läuft’s so?«, fragte ich.
»Kann nicht klagen.«
»Und wenn, würde auch keiner zuhören, stimmt’s?«, sagte ich.
»Ein wahres Wort.«
Wir stießen an.
Olé!
Ich zog jetzt schon seit ein paar Monaten mit Walker herum. Er hatte eine Pokerrunde mit mittleren Einsätzen am Laufen und ging an den Wochenenden auf den Fundraising-Partys von Georgetown gern auf Schürzenjagd.
Als wir anfingen zu plaudern, sah ich Marcus durch einen Eingang auf der anderen Seite der Glasveranda gehen, wobei er uns aus den Augenwinkeln beobachtete. Marcus führte mich durchs Geschäftsleben, er hatte mich mit dem Abgeordneten aus Mississippi bekannt gemacht. Im Umgang mit den meisten Leuten legte Walker beste Manieren an den Tag, aber Marcus hatte ihn lange genug beobachtet, um zu wissen, dass er es mit den Jüngeren lieber etwas lockerer angehen ließ. So war ich ins Spiel gekommen.
Walker war ein vielversprechender Aufsteiger, der auf dem besten Weg war, es unter die Fünfhundert zu schaffen – wie es im Davies-Insiderjargon hieß. Den schnappte man nur dann auf, wenn er versehentlich jemandem herausrutschte, weil er offiziell nämlich nicht existierte. Es war nicht schwer herauszubekommen, dass es sich dabei um eine Liste mit den fünfhundert Leuten in der Hauptstadt handelte, die die wirkliche Macht ausübten, die Auserwählten, die in Washington und damit auch im ganzen Land die Fäden in der Hand hatten. Die Davies Group wollte absolut sichergehen, dass sie mit jedem Einzelnen von ihnen auf Du und Du stand. Ich war in der Firma aufgestiegen, bekam mehr Risiko, mehr Verantwortung, mehr Leine. Walker war mein nächster Auftrag.
Und was genau war mein Job? Nun ja, im Grunde genommen zog ich für Marcus Leute über den Tisch.
Er hatte mich, ein paar Tage nachdem sie mich zum Senior Associate gemacht hatten, in sein Büro kommen lassen. »Passen Sie auf, dass Ihnen das nicht zu Kopf steigt«, sagte er.
»Bestimmt nicht«, sagte ich. »Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln. Und Gould war eine ganz schön dicke.«
Er sah erleichtert aus. »Dann brauche ich Ihnen das ja nicht mehr zu erklären. Unser Geschäft ist es, die Ansichten von Menschen zu ändern. Wie machen wir das, was meinen Sie?«
»Indem Sie über Squashtaschen voller Schmiergeld stolpern?«
»Wenn das zielführend ist. Aber meistens ist es einfach harte Arbeit.«
Und damit begann meine lange Ausbildung in der Branche. Eigentlich handelte es sich mehr um eine Auffrischung. Mein Vater war Betrüger. Als er ins Gefängnis wanderte, war ich zwölf, was ich von ihm direkt mitbekam, war also nur sehr wenig: erlauschte Gesprächsfetzen, bevor die Tür zufiel, flüch tige Blicke auf gefälschte Papiere, bevor er mich mit drohend erhobener Hand aus dem Zimmer scheuchte. Wirklich zugeschlagen hat er aber nie.
Natürlich gibt es Familien mit Kriminellen, aber ich ha be nie jemanden getroffen, der die Absicht hatte, seine krimi nelle Profession an in die nächste Generation weiterzuge ben. Meine Mutter erzählte mir, dass mein Vater mit seinen Gaunereien nur bezweckt hätte, mir seriöse Möglichkeiten zu eröffnen, damit ich nie in Versuchung geriete, in seine Fußstapfen zu treten. Aber das Laster setzt sich fest, es durch dringt ein Haus wie jahrelanger Zigarettenqualm. So gut gemeint seine Absichten auch gewesen sein mögen, sosehr er auch versuchte, die Schattenseite seines Lebens vor uns zu verbergen, mein älterer Bruder Jack und ich saugten alles in uns auf. Und als er dann weg war, konnte uns nichts mehr aufhalten.
Der durchschnittliche Halbwüchsige ist allerlei kriminellen Versuchungen ausgesetzt. Schwer zu sagen,
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