Die 500 (German Edition)
aus dem Beifahrerfenster und winkte in eine kleine Überwachungskamera am Zaun. Sesam, öffne dich. Wir hielten vor einer protzigen Pseudovilla: Säulen, drei Stockwerke hoher Eingang, spiralförmige Büsche, das volle Programm.
Ein Bodybuilder-Typ – jung, vielleicht hundertvierzig Kilo – öffnete die Tür. Er hatte ein mit Grübchen verziertes Babygesicht und trug ein Muskelshirt. Auf seinem Kopf saß in verwegenem Winkel eine weiße Baseballkappe der Cleveland Indians. Walker und das Muskelpaket begrüßten sich, indem sie ihre Hände umfassten und sich gegenseitig auf die Schultern klopften. Der Typ beäugte mich misstrauisch, bis Walker sagte: »Alles cool, Squeak, ich bürge für ihn.« Squeak knipste sein Lächeln wieder an und führte uns ins Haus.
Wie wahrscheinlich viele andere Menschen auch schleppe ich jede Menge Vorurteile über Bordelle mit mir herum. Ich sehe eine viktorianische Villa in New Orleans vor mir, eine elegante, immer noch bildschöne ältere Dame, haufenweise Tüll und Spitze.
Aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab das, was ich hier sah: ein vierhundert Quadratmeter großer Kasten von Haus, unmöbliert, bis auf einige schwarze Ledersofas und einen Sechzig-Zoll-Plasmafernseher. Ich hatte eine Bar erwartet oder das Interieur eines Striplokals, wo ich es mir beqeum machen und Walker im Auge behalten konnte, ohne dass ich etwas tun musste, wofür ich mich zu sehr hassen würde. Hier herrschte allerdings VIP-Betreuung, keine Chance, sich irgendwo zu verstecken. Zögernd nahm ich auf einem Sofa Platz.
Sofort bekam ich weibliche Gesellschaft, die umgehend in meine Privatsphäre eindrang und sich vorstellte: »Mein Name ist Natasha. Ich bin aus Russland.«
»Sehr originell.«
»Vielen Dank.«
Tja, womit soll ich bei Natasha anfangen? Sie hatte ein Monroe-Piercing – einen falschen Diamanten in der Oberlippe, der wohl Marilyns Schönheitsfleck ähneln sollte. Sie trug Glitzer-Make-up und etwas, was ich hier wohlwollend ein Kleid nennen möchte. Sie wurde gleich ein wenig handgreiflich, was mich aber nicht sonderlich beunruhigte. Wenn nötig, würde ich eben eine Szene machen oder einfach abhauen, jedenfalls würde ich nicht Katz und Maus mit ihr spielen. Mir war egal, was Marcus sagte. Irgendwo musste ich die Grenze ziehen.
An Walker schmiegte sich eine Koreanerin mit einem Rattenschwanz, deren Namen ich nicht verstanden hatte. In meinem aufgewühlten inneren Monolog nannte ich sie fortan Hello Kitty. Beide Mädchen waren frisch vom Dampfer, man konnte fast noch die Verpackung riechen. Kitty konnte Natasha, was deren Trash-Look anging, nicht das Wasser reichen, sie war sogar ziemlich hübsch und machte einen naiven Eindruck. Glücklicherweise hatte ich das Mädchen erwischt, das mich komplett abtörnte. Keine Versuchung.
Meine Abwehrreihen waren gut geschlossen, als Natasha mit zwei Fingern ihrer linken Hand an meinem Oberschenkel hinaufkrabbelte, sodass ich tatsächlich glaubte, ich würde unversehrt an Leib und Seele aus dieser Geschichte herauskommen. Ich konnte mich fast entspannen.
Nur der Bursche in der Küche beunruhigte mich. Er war schmächtig und jung, gerade erst College-Alter, und achtete nicht auf das, was sich im Wohnzimmer abspielte (das Haus hatte einen offenen Grundriss, in dem alle Geräusche widerhallten). Der Junge saß auf einem Hocker an der Kücheninsel. Sein Handy nahm ihn vollkommen in Anspruch, sein Blick war der eines Toten. Er tippte mit dem Daumen pausenlos auf die Tasten, während er mit der anderen Hand an den Aknenarben in seinem Gesicht herumzupfte. Wenn ich es mal geschafft hatte, ihn zu ignorieren, drang durch den Äther irgendetwas Lustiges an sein Ohr, worauf er in ein mädchenhaftes Gegacker ausbrach, das sich im ganzen Haus ausbreitete und mir die Haare zu Berge stehen ließ. Das Bürschchen wog höchstens fünfundfünfzig Kilo, machte mir aber aus irgendeinem Grund mehr Angst als Squeak.
Natasha schienen inzwischen die Arme einer Krake gewachsen zu sein. Der Junge kicherte wieder. Gerade als ich glaubte, jetzt könne es wohl nicht mehr gruseliger werden, ging Squeak zu der Stereoanlage und legte eine CD ein. Streicherklänge quollen aus den riesigen Lautsprechern. Ich brauchte einen Augenblick, bis ich sie einordnen konnte. Das war Dusty in Memphis , »Just a Little Loving«.
Irgendwie hievte das die ganze Geschichte auf Albtraumebene. Es reichte. Ich war draußen. Das war es nicht wert, meine Anwaltszulassung zu
Weitere Kostenlose Bücher