Die 500 (German Edition)
herauszuwinden. Ich ging im Geist ein paar durch, aber Marcus würde sie alle sofort durchschauen. Wie konnte man seinem Boss erklären, dass man ihm eine Wanze an den Arsch geklebt hatte, dass man ihm vor seinem Haus aufgelauert, dass man ihn verfolgt hatte?
Nein. Mike Fords Spiel war vorbei. Die goldene Zeit, die mir die Davies Group beschert hatte, Vergangenheit. Mindestens. Keine Medaillons vom Shenendoah-Kalb mit neuen Kartoffeln im Inn in Little Washington mehr. Schlimmer: Meine Bosse hatten genug Dreck angehäuft, um mich allein wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen der Wahlkampffinanzierung zu erledigen. Das Thema Methhöhle brauchten sie erst gar nicht aufzuwärmen. Ende der Scharade, zurück in den Knast. Wie der Vater, so der Sohn.
Während das Knarzen der Bohlen in der Dunkelheit immer näher kam, machte ich mir immer weniger Gedanken um materielle Dinge und immer mehr um Marcus’ harte Hände. Nun ja, er würde mich nicht gleich umbringen, oder? Aber was wusste ich schon über die Gewohnheiten eines Burschen, der die Achtzigerjahre damit verbracht hatte, Sandinistas die Gurgel abzudrehen? Einen Scheißdreck wusste ich.
Auf alle Fälle konnte ich nicht riskieren, mich schnappen zu lassen. Meine Optionen sahen allesamt übel aus. Das weiß schäumende Wasser drei Meter unter mir sah jedenfalls nicht einladend aus. Trotzdem, ich traute mir zu, es bis zum nächsten Pier zu schaffen, egal, wie höllisch der Trip auch werden würde. Das ist das Gute an der Navy: Man lernt in jede Art von Wasser zu springen und ohne viel Tamtam seinen Arsch in Bewegung zu setzen.
Als der Strahl einer Taschenlampe quer über den Pier fiel, sprang ich in die Dunkelheit. Wenn man in eiskaltes Wasser fällt, ist die Hauptgefahr, dass man nach Luft japst, dabei Wasser in die Lunge gelangt und man absäuft wie ein Plattenanker. Das konnte ich vermeiden, obwohl ich wegen des Kälteschocks sofort wie verrückt anfing zu keuchen und mein IQ sofort um vierzig Punkte nach unten rauschte. Wenn man nicht durchdreht und deshalb ertrinkt, kann man in arktischem Wasser etwa fünfzehn Minuten überleben. Auch wenn ich das Gefühl hatte, als würde ich sterben, wusste ich doch, dass mir reichlich Zeit blieb. Der Lichtstrahl suchte in weiten Bogen das Wasser ab, also schwamm ich zurück unter den Pier. Ein paarmal schlug ich mir den Kopf an einem Bal ken oder einer Holzschraube an, während ich mich vorsichtig zwischen Pfählen voller Entenmuscheln und faulig riechen dem grünem Moos zurückkämpfte, bis ich mich unter Marcus befand.
Ich konnte ihn hören. Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe drang durch die Ritzen der Holzbohlen. Als er näher kam, tauchte ich unter, er war jetzt direkt über mir.
Fast hätte ich mir gewünscht, dass er rumbrüllte und mir Drohungen entgegenschleuderte. Die kalte, effiziente Stille jagte mir mehr Angst ein als alles andere.
Ich paddelte zurück an den Anfang des Piers und schwamm dann – seitlich im Wasser liegend, der Schneeregen stach mir ins Ohr – an der Dammmauer entlang bis zum nächsten, etwa fünfzig Meter entfernten Pier. Ich hievte mich aus dem Was ser und versuchte, zu meinem Wagen zu rennen, war jedoch so steif, dass ich nur ein ungelenkes Stolpern zustande brachte. Der Lichtstrahl leuchtete in meine Richtung, fand mich, war aber jetzt schon zu weit entfernt und nur noch sehr schwach.
Ein Zaun trennte die beiden Piers, was mir etwas Zeit verschaffte. Ich sprang in meinen Jeep, beschleunigte auf achtzig Stundenkilometer und erreichte schließlich die I-395. Die Heizung war bis zum Anschlag aufgedreht. Bis nach Hause hätte ich es normalerweise in zwanzig Minuten geschafft. Ich brauchte vierzig. Immer wieder bog ich scharf ab, fuhr Umwege und schaute mich ständig um, ob Marcus mir folgte.
Im Haus warf ich meine Klamotten in die Waschmaschine, lief nach oben und stellte mich zwanzig Minuten lang unter die heiße Dusche. Meine Hände zitterten noch immer so vor Kälte, dass ich kaum die Wasserhähne drehen konnte. Das Einzige, was mich auf den Beinen hielt, war die Aussicht auf die dicke Bettdecke und Annie.
Ich schlich mich ins Schlafzimmer und schlüpfte im Dunkeln unter die Decke. Als meine Hand nach ihrer Hüfte tastete, war da nur die Matratze. Sie war nicht da.
Ich fand sie unten. Eigentlich fand sie mich. Sie saß mit einer Tasse auf der Couch und wartete. Als ich die Treppe hinunterging, legte sie ihr Buch zur Seite. Anscheinend hatte sie geweint, aber jetzt war sie die Ruhe
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