Die 500 (German Edition)
selbst.
»Vögelst du jemand anders?«, fragte sie mit seltsam gelassener Stimme.
Mein Gehirn stellte die Arbeit ein. Ich hatte sie angelächelt. Ich war einfach froh gewesen, sie nach dieser beschissenen Nacht zu sehen. Das Gefühl der Erleichterung war schlagartig dahin.
»Was?«, sagte ich. »Nein, natürlich nicht.«
Sie hielt eine Profilaufnahme von Irin hoch, die ich ausgedruckt hatte.
»Du kommst ständig spät nach Hause und tischst mir irgendwelche Ausreden auf. Du kommst rein, ziehst dich aus und gehst als Erstes unter die Dusche. Hältst du mich für blöd? Ich weiß, was das bedeutet.«
»Das hat mit dem Job zu tun«, sagte ich. »Sie ist die Tochter von Rado Dragov i ´ c .«
»Erzähl mir doch keinen Blödsinn«, sagte sie. »Eine zwanzigjährige Partyschickse macht Lobbyarbeit im Pentagon? Ich hab mir deinen Laptop angeschaut, du hast sie tausendmal gegoogelt. Verfolgst du das Mädchen?«
»Schatz, Networking gehört zum Job, das weißt du doch. Ich durchleuchte sie für einen Fall. Und wegen heute Abend, ich hatte Walker versprochen, mich mit ihm zu treffen …«
»Ach was, halt einfach den Mund, okay?«, sagte sie. »Walker ist im Abgeordnetenhaus, genau in diesem Augenblick, irgendeine Abstimmung über den Haushalt. Hör auf, mich anzulügen. Das ist ja widerlich.«
Sie stand auf und ging zur Haustür. Wirres Zeug stammelnd, lief ich hinter ihr her. Ich hatte nur meine Boxershorts an. Wieder fror ich mir den Arsch ab, nur dass ich jetzt halb nackt auf meiner Vorderveranda stand. Mir wurde klar, dass die Wahrheit sich viel unglaubwürdiger anhören würde als jeder Mist, den ich mir ausdenken könnte. Aber ich wollte sie nicht schon wieder anlügen.
»Schatz, ich kann alles erklären. Es hat mit der Arbeit zu tun. Ich habe gelogen, weil ich dich da nicht mit reinziehen wollte. Es geht um unsere Bosse, um Davies. Bitte, komm wieder rein.«
»Du willst, dass ich dir vertraue?«
»Ja«, sagte ich.
»Okay, dann vertraue du mir. Du weißt besser als jeder andere, wie diese Stadt funktioniert, Mike. Hier gibt’s nichts ohne Gegenleistung. Also, worum geht’s?«
»Ich zeig’s dir.« Ich ging in den Durchgang zur Küche und zog meine Klamotten aus der Waschmaschine.
»Die stinken nach Jauche«, sagte sie und rümpfte die Nase. Wahrscheinlich hatte sie den Geruch eines fremden Parfüms oder nach Sex erwartet.
»Ich habe dich angelogen. Das war falsch. Es tut mir leid. Aber ich wollte dich da nicht mit reinziehen. Jedenfalls habe ich niemanden gevögelt, der so stinkt.«
»Erzähl mir einfach, was passiert ist.«
Ich wählte meine Worte sehr genau. Ich wollte sie nicht in die Sache hineinziehen, falls ich nur einem Phantom hinterherjagte, vor allem aber, falls eine echte Gefahr drohte.
»Mich hat die Sorge umgetrieben, dass ein Deal, an dem ich beteiligt war, ethisch nicht ganz sauber ist. Also wollte ich ein paar Sachen noch mal nachprüfen. Und während ich rumgeschnüffelt habe, bin ich Vollidiot dann in diese stinkende Brühe gefallen und hab mir fast den Arsch abgefroren.«
Sie dachte darüber nach.
»Das hört sich dermaßen lächerlich an, das kann man nicht erfinden.« Sie musterte mich. »Du bist also ins Wasser gefallen?«
»Ja. In den eiskalten Anacostia«, sagte ich. »Ich hatte eine echt harte Nacht. Tut mir ehrlich leid.«
»Warum hast du mir das nicht einfach erzählt?«
»Ich weiß, ich bin paranoid, aber ich wollte dich da nicht reinziehen. Das war dumm, ich weiß, aber das ist alles.«
»Hast du Marcus oder Henry davon erzählt?«
»Nein. Und behalte das bitte für dich. Ich hab das auf eigene Faust gemacht. Wenn sie was rausfinden, könnte ich echt Ärger bekommen. Okay?«
»Wär besser, wenn du mit ihnen sprechen würdest«, sagte sie. »Die wüssten sicher, was man da unternehmen kann.«
Annie war genauso ehrgeizig wie ich. Sie kannte nur ihre Arbeit, und sie hatte ein enges Verhältnis zu Davies. Schließlich war es Davies gewesen, der Annie und mich zusammengebracht hatte. Ich wollte gar nicht daran denken, was sie tun würde, wenn sie sich zwischen ihm und mir entscheiden müsste.
»Ich weiß«, sagte ich. »Aber kann das alles nicht einfach unter uns bleiben? Ich hab’s überprüft, es war nichts dran, und ich könnte echt Ärger kriegen, wenn rauskommt, dass ich gegen ihre Regeln verstoßen habe. Erzähl’s bitte niemandem, okay?«
Ich spürte, dass sie wieder misstrauisch wurde.
»Okay«, sagte sie schließlich.
»Du
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