Die 500 (German Edition)
tatsächlich helfen könnte, die Beweismittel zu finden?«, fragte Marcus.
»Möglich. 23 ist einsam. Und wenn nicht, was soll’s? Wenn sie irgendwas von dem, was in dem Kuvert ist, zu sehen bekommt, sind ihre Tage gezählt. Das sind gefährliche Informationen. Um unsere Interessen zu schützen, müssten wir uns selbst um sie kümmern.« Henry atmete verärgert aus. »Egal, wir können sie trotzdem nicht benutzen. Die ganze Geschichte mit diesem Psycho Radomir ist ein gottverdammtes Chaos, und 23 ist ein Nervenbündel. Was für eine Scheißveranstaltung. Wir machen jetzt erst mal langsam, beobachten das Ganze und warten ab. Ich sammele immer noch Klienten ein. Das bringt uns Milliarden. Wenn wir das durchziehen, dann brauchen wir in unserem ganzen Leben keinen einzigen Fall mehr anzunehmen.«
Regentropfen begannen auf die Holzterrasse zu trommeln.
»Behalte das Mädchen genau im Auge«, fuhr Henry fort. »Wenn sie es schafft, an 23 ranzukommen, dann müssen wir schnell handeln und ihn uns sofort greifen. Überleg dir schon mal ein paar Optionen. Dann müssen wir halt improvisieren, aber es gibt immer einen Weg.«
»Okay, ich kümmere mich darum«, sagte Marcus.
»Mir ist kalt«, sagte Henry. »Gehen wir rein.«
Ich hörte, wie eine Tür geöffnet wurde, und dann das Bellen eines Hundes, das lauter wurde und näher kam. Gott im Himmel. Da hatte ich saubere Arbeit geleistet, um hier reinzukommen, und dann tauchte der schnüffelnde Corgi von Henrys Frau auf und ließ mich auffliegen.
Ich rannte zurück zum Tor und schlug mich durchs Unterholz bis zu meinem Wagen durch. Der strömende Regen half mir beim Denken. Irin arbeitete also nicht für Marcus. Sie war ein unbefugter Schnüffler wie ich, hatte aber offenbar mehr Erfolg gehabt. Wenigstens hatten Davies und Marcus nicht gemerkt, dass ich auf eigene Faust meine Nase in Rados Fall gesteckt hatte. Irin und ich hatten beide versucht, in ein Spiel einzusteigen, von dem wir nicht wussten, worum es geht. Meine Bosse hatten sich nur sehr vage ausgedrückt bezüglich dessen, was dem abgehörten Mann und Irin zustoßen könnte. Vielleicht ging es um Bestechung und Erpressung, aber es fiel mir immer schwerer zu ignorieren, dass das Ganze weit schlim mere Konsequenzen haben könnte.
Als ich die Kleidung wechselte, Sachen, die im Jeep lagen und eigentlich in die Trockenreinigung sollten, war ich schon zwanzig Minuten zu spät dran. Als ich im Restaurant auftauchte, stand mir immer noch ein Rest Angstschweiß auf der Stirn. Jedenfalls hatte ich schon besser ausgesehen.
Annies Blick fragte, wo zum Teufel ich jetzt herkam. Seit ich mit Davies nach Kolumbien gejettet war, zeigte sie reges Interesse an allem, woran der Big Boss und ich arbeiteten. Ich ertappte sie dabei, wie sie einen Blick auf meinen geöffneten E-Mail-Account warf oder aufschaute, wenn mein Telefon klingelte. Dann verwickelte sie mich in eine beiläufige Plauderei und versuchte mir Hinweise darüber zu entlocken, woran ich gerade arbeitete. Sie war eine von Henrys Musterschülerinnen gewesen, und ich konnte mir vorstellen, dass sich hinter ihrer Neugier ein Hauch Neid verbarg. Vielleicht fühlte sie sich durch meinen Aufstieg in der Davies Group sogar bedroht. Schließlich konnte nicht jeder Partner werden.
Zumindest hoffte ich, dass das der Grund für ihre Neugier war. Sie stand Henry immer noch nahe, und manchmal fragte ich mich, ob er ihre Vieraugengespräche dazu benutzte, sie auszuhorchen und herauszufinden, was ich vorhatte. So paranoid der Gedanke auch sein mochte, dass sie wissentlich oder unwissentlich Davies dabei half, mich zu kontrollieren, ich würde ihr jedenfalls nicht erzählen, dass ich unsere Bosse ausspionierte.
Ich schob die Verspätung auf meinen Jeep.
»Du und dein Jeep«, sagte sie.
Tuck hatte uns von diesem total authentischen Sichuan-Restaurant erzählt und uns dringend empfohlen, das » Mal a « zu probieren, was grob übersetzt »taube Zunge« hieß. Es war nicht nur scharf. Es schmeckte nach Schmerz und roch nach Tod. Während ich unter dem Tisch auf meinem Smartphone die Wege meiner G P S-Tracker verfolgte und dabei von Spaghetti mit Fleischklößchen träumte, versuchte ich den lustvollen Esser zu mimen.
Irins Wagen stand wie üblich in einer Garage in der Nähe ihres Hauses in der Prospect Street. Marcus fuhr durch Georgetown zurück in die Stadt. Nichts Außergewöhnliches. Bis er plötzlich ein Ziel südlich des Kapitols ansteuerte.
Es war halb neun, wir hatten
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