Die 6. Geisel - Thriller
es sonst sein?«
»Was können Sie uns über Paola sagen?«, fragte ich.
»Sie spricht hervorragend Englisch«, antwortete Tyler. »Sie ist erst seit zwei Monaten bei uns. Wann war es noch mal, Schätzchen?«
»Im September. Gleich nachdem Mala nach Sri Lanka zurückgegangen
ist. Paola hatte beste Referenzen«, fügte Mrs. Tyler hinzu. »Und Maddy hat sie gleich ins Herz geschlossen.«
»Kennen Sie irgendwelche von Paolas Freunden?«
»Nein«, antwortete Mrs. Tyler. »Sie darf niemanden mit nach Hause bringen. Donnerstags und sonntagnachmittags hat sie frei, und was sie an diesen Tagen gemacht hat, wissen wir nicht - es tut mir leid.«
»Sie hat ständig mit ihrem Handy telefoniert«, sagte Tyler. »Das hat Madison mir verraten. Sie muss also Freunde haben. Worauf wollen Sie hinaus, Sergeant? Denken Sie, dass sie dahintersteckt?«
»Halten Sie das für möglich?«
»Sicher«, antwortete Tyler. »Sie hat gesehen, wie wir leben. Vielleicht wollte sie etwas davon für sich selbst haben. Oder vielleicht hat irgendein Typ, mit dem sie zusammen war, sie dazu angestiftet.«
»Im Augenblick können wir nichts ausschließen«, sagte ich.
»Was immer dazu nötig ist, und wer immer es gewesen sein mag«, sagte Henry Tyler, während seine Frau an seiner Seite in Tränen ausbrach, »bitte, bringen Sie uns unsere kleine Tochter wieder!«
35
Paola Riccis Zimmer im Haus der Tylers war kompakt und feminin. Ein Poster von einer italienischen Fußballmannschaft prangte an der Wand gegenüber von ihrem Bett, und über dem Kopfteil hing ein handgeschnitztes Kruzifix.
Drei Türen gingen von dem kleinen Zimmer ab. Eine führte auf den Flur, die zweite in ein Bad, und durch die dritte gelangte man direkt in Madisons Zimmer.
Paolas Bett war mit einer blauen Chenille-Tagesdecke bezogen, und ihre Kleider waren ordentlich im Schrank aufgehängt - geschmackvolle Trägerkleider, schlichte Röcke und Blusen, dazu ein Regal mit Pullovern in neutralen Farben. Am Boden waren einige Paar Schuhe mit flachen Sohlen aufgereiht, und am Knauf der Schranktür hing eine schwarze Ledertasche.
Ich öffnete Paolas Handtasche und durchsuchte ihre Brieftasche.
Laut ihrem Führerschein war Paola neunzehn Jahre alt.
»Sie ist eins fünfundsiebzig groß, hat braunes Haar und blaue Augen, und sie raucht auch gerne mal ein bisschen Gras.«
Ich schwenkte ein Tütchen mit drei Joints, das ich in einer Seitentasche gefunden hatte. »Aber hier ist kein Handy, Rich. Sie muss es mitgenommen haben.«
Ich zog eine der Schubladen von Paolas Kommode auf, während Conklin die Toilettensachen durchstöberte.
Paola besaß einfache weiße Baumwollunterwäsche für den Alltag, aber für die freien Tage hatte sie auch Seidendessous in schillernden Farben.
»Ein kleines bisschen verrucht«, sagte ich, »und ein kleines bisschen brav.«
Ich ging ins Bad und öffnete die Hausapotheke. Diverse Cremes
und Mittelchen gegen Pickel und Spliss - und dazu eine offene Schachtel Hormonpflaster zur Empfängnisverhütung.
Mit wem ging sie ins Bett?
Mit einem Freund? Oder mit Henry Tyler?
Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ein Kindermädchen etwas mit dem Herrn des Hauses hatte. War hier irgendetwas nicht ganz sauber? Eine Affäre, die im Streit geendet hatte?
»Hier ist was, Lieutenant«, rief Conklin. » Sarge , wollte ich sagen.« Ich ging zurück ins Schlafzimmer.
»Wenn dir Boxer nicht über die Lippen geht«, sagte ich, »dann versuch’s doch mal mit Lindsay.«
»Okay«, meinte er, und ein Grinsen erhellte sein attraktives Gesicht. »Lindsay. Paola führt ein Tagebuch.«
36
Während Conklin hinausging, um Madisons Zimmer zu durchsuchen, blätterte ich im Tagebuch des Kindermädchens.
Paola hatte eine schöne Schreibschrift, und ihr Stil war überschwänglich, durchsetzt von Emoticons und Symbolen. Schon eine flüchtige Durchsicht des Tagebuchs verriet mir, dass Paola Amerika liebte.
Sie schwärmte von den Cafés und Geschäften in der Fillmore Street und schrieb, sie könne es kaum erwarten, dass das Wetter sich besserte, damit sie mit ihren Freunden draußen sitzen könnte, wie sie es von zu Hause gewohnt war.
Wenn sie ihre Freunde erwähnte, benutzte Paola nur die Initialen, was mich vermuten ließ, dass sie an ihren freien Abenden mit »ME« und »LK« Hasch rauchte.
Ich suchte nach Erwähnungen von Henry Tyler und stellte fest, dass Paola ihn immer nur »Mr. B.« nannte; doch der Name fiel nur selten.
Dafür schmückte sie die Initiale einer
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