Die 6. Geisel - Thriller
Stimme vom Tisch der Verteidigung.
Richter Moore beugte sich vor und sagte: »Mr. Rooney, bitte beantworten Sie die Fragen nur mit ›Ja‹ oder ›Nein‹, es sei denn, Sie werden um eine ausführlichere Erklärung gebeten, ja?«
»Natürlich, Euer Ehren. Tut mir leid. Ich habe so was noch nie gemacht.«
»Ist schon in Ordnung.«
Yuki verschränkte die Finger vor sich auf dem Pult und fragte: »Sie haben mir eine Kopie des Videos gegeben, nicht wahr, Sir?«
»Jawoll, das stimmt.«
»Euer Ehren, ich bitte um Erlaubnis, eine Kopie dieses Videos zu zeigen und es als Beweisstück eintragen zu lassen.«
»Bitte sehr, Ms. Castellano.«
David Hale schob eine CD in einen Computer, und alle Augen im Saal richteten sich auf die beiden großen Fernsehbildschirme an der vorderen Wand. Der Amateurfilm begann.
Der erste der beiden Ausschnitte zeigte einen unbeschwerten Nachmittag auf der San Francisco Bay: der lange Schwenk über die Sehenswürdigkeiten, bis dann die Kamera auf dem grinsenden Jack Rooney und seiner Frau verharrte - und zufällig im Hintergrund ein unscharfes Bild von Alfred Brinkley einfing, der hinter den Rooneys saß, auf das Wasser hinausstarrte und an den Härchen auf seinem Arm zupfte.
Der zweite Ausschnitt war ein Dokument des blutigen Grauens.
Yuki beobachtete die Mienen der Geschworenen, als der kleine Gerichtssaal von den Schüssen und den Entsetzensschreien widerhallte.
Die Bilder auf den beiden Monitoren ruckten zur Seite, und die Kamera fing den Schrecken im Gesicht des Jungen ein, in dem Augenblick, als die Kugel ihn traf. Man sah, wie sein kleiner Körper rücklings gegen die Reling geschleudert wurde, ehe er über der Leiche seiner Mutter zusammenbrach.
Yuki hatte den Film schon oft gesehen, und noch immer war jeder Schuss für sie wie ein Schlag in die Magengrube.
Red Dog hatte falsch gelegen. Die Geschworenen sahen alles andere als gelangweilt aus, als das Blutbad sich vor ihren Augen abspielte. Denn das hier war etwas ganz anderes, als das Rooney-Video zu Hause auf der Wohnzimmercouch zu sehen.
Diesmal saß der Mörder nur wenige Meter von ihnen entfernt.
Manche der Geschworenen hielten sich die Hand vor den Mund oder wendeten den Blick ab, und jeder Einzelne schielte im Lauf der Vorführung bestürzt in Alfred Brinkleys Richtung.
Brinkley erwiderte die Blicke nicht. Es saß regungslos auf seinem Stuhl und sah sich selbst dabei zu, wie er all diese unschuldigen Menschen niedermähte.
»Ich habe keine Fragen«, sagte Mickey Sherman. Er drehte sich zu Alfred Brinkley um und flüsterte ihm etwas ins Ohr,
während der Richter sagte: »Danke, Mr. Rooney. Sie können den Zeugenstand wieder verlassen.«
Yuki wartete, bis Rooney sich bis zu seinem Platz zurückgeschleppt hatte, ehe sie sagte: »Die Staatsanwaltschaft ruft Dr. Claire Washburn auf.«
75
Claire hatte das Gefühl, dass alle Augen im Saal ihr folgten, als sie nach vorn zum Zeugenstand ging. Gestern um diese Zeit hatte sie noch im Bett gelegen, und sie hoffte bei Gott, dass sie in zwei Stunden wieder dort sein würde.
Dann sah sie Yuki, dieses süße kleine Ding mit ihren gerade mal achtundzwanzig Jahren, sah die ganze Leidenschaft in ihrem Blick - und die Angst, die sie sich auf keinen Fall anmerken lassen wollte. Und so lächelte Claire ihr zu, als sie sich durch die Schranke schob und auf den Zeugenstand zuging.
Claire legte die Hand auf die Bibel, und der Gerichtsdiener ging die »Schwören-Sie«-Fragen mit ihr durch, während sie die Falten ihres Kleides richtete, das ihr lose um die Hüften schlackerte. Sieben Kilo hatte sie in knapp drei Wochen verloren. Die Revolver-Diät , dachte sie, als sie sich auf dem Stuhl niederließ.
»Danke, dass Sie heute gekommen sind, Dr. Washburn. Sie sind erst vor zwei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden?«
»Ja, das stimmt.«
»Und können Sie den Geschworenen sagen, warum Sie im Krankenhaus waren?«
»Ich wurde in die Brust geschossen.«
»Ist die Person, die auf Sie geschossen hat, heute hier im Saal?«
»Ja. Da drüben sitzt das miese Dreckstück.«
Sherman machte sich nicht einmal die Mühe, sich von seinem Platz zu erheben, sondern sagte nur: »Einspruch, Euer Ehren. Ich kann es nicht genau begründen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Zeugin nicht das Recht hat, meinen Mandanten ein ›mieses Dreckstück‹ zu nennen.«
»Da dürfte er wohl recht haben, Dr. Washburn.«
»Es tut mir leid, Euer Ehren. Das sind nur die Schmerzen, die da aus mir
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