Die 6. Geisel - Thriller
Europa-Importe der Westwood-Agentur war Briana Kearney Amerikanerin in der zweiten Generation und stammte aus L. A. Sie wohnte nur drei Blocks entfernt und passte stundenweise auf Charlie auf.
Mit anderen Worten, Briana war Babysitterin.
Sie schluchzte herzzerreißend, als ich auf sie eindrang, mich nach ihrem Bekanntenkreis erkundigte und nach ihrem Freund, und ob irgendjemand sie über die Rays und ihre Angewohnheiten ausgefragt habe.
Schließlich klappten Conklin und ich unsere Notizbücher zu und verabschiedeten uns. Als wir aus dem gemütlichen Häuschen auf die Straße traten, gingen in den Fenstern gerade die elektrischen Kerzen an.
»Dieses Mädchen hatte nichts mit der Entführung des Jungen zu tun«, sagte ich.
»Über den Mann konnte ich auch nichts Negatives rausfinden«, erwiderte mein Partner. »Sieht mir ganz nach einem Fall vom Typ ›Pädophiler lockt Kind in sein Auto‹ aus.«
»Tja. Es ist ja auch so verflucht leicht, ein Kind zu stehlen. Der Perverse sagt: ›Willst du mal mein Hundchen sehen?‹ Das Kind läuft hin, der Typ zerrt es ins Auto und rast davon. Keine Zeugen. Keine Spuren. Und dann«, schloss ich, »das lange Warten auf den Anruf … der nie kommt.«
82
Es war jetzt über sieben Stunden her, dass der sechsjährige Charlie Ray entführt worden war, und noch immer hatten die Kidnapper sich nicht bei den Eltern gemeldet.
Im Gegensatz zu den Tylers gehörten die Rays einer Einkommensschicht an, bei der man normalerweise nicht an Lösegeld als Motiv für eine Entführung denken würde.
Und das war ganz schlecht.
Wir saßen in Captain Jimenez’ Büro, wo Agent David Stanford vom FBI uns Bericht erstattete. Stanford hatte blaue Augen und einen ergrauenden Pferdeschwanz; er hatte verdeckt an einem anderen Fall gearbeitet, bevor er auf diesen angesetzt worden war.
Ich nahm mir ein Flugblatt von dem Stapel auf dem Schreibtisch des Captains und studierte Charlie Rays kugelrunde Augen, seine Milchzähne, seine kurz geschnittenen dunklen Locken.
Würden sie in ein paar Wochen seine Leiche auf einer Müllkippe finden, oder verscharrt im Wald, oder irgendwo am Strand, angespült nach einem Sturm?
Nach der Besprechung rief ich Macklin an und brachte ihn auf den neuesten Stand. Anschließend fuhr Agent Stanford Conklin und mich zum Flughafen. Als wir vom Freeway abzweigten, schlug Stanford vor, dass wir vor unserem Abflug noch auf einen Drink ins Marriott LAX gehen könnten. Wir sollten ihm alles erzählen, was wir über Madison Tyler und ihre Entführung wussten.
Was mich betraf, konnte ich einen Drink gut gebrauchen. Vielleicht auch zwei.
Die Latitude 33 Lounge wartete mit einer gut bestückten Bar und einem Restaurant auf. Bei Bier und Erdnüssen unterhielten wir uns über Madison, und dann erzählte Stanford uns
von einer scheußlichen Kindesentführung, mit der er vor einigen Monaten zu tun gehabt hatte.
Ein zehnjähriges Mädchen war auf dem Nachhauseweg von der Schule gekidnappt worden. Vierundzwanzig Stunden später hatte man sie auf dem Altar einer Kirche gefunden, vergewaltigt und erdrosselt, die Hände wie zum Gebet gefaltet. Der Täter war noch immer nicht gefasst.
»Wie oft gehen solche Entführungen gut aus?«, fragte ich.
»Die meisten Kindesentführungen sind das Werk von Familienmitgliedern. In diesen Fällen kann das Kind in der Regel unversehrt zu seinen Eltern zurückgebracht werden. Wenn der Entführer ein Fremder ist, liegt die Quote der Fälle mit gutem Ausgang bei rund fünfzig Prozent.« Stanfords Stimme klang angespannt, als er fortfuhr: »Nennen Sie es eine Leidenschaft oder meinetwegen Besessenheit, aber ich glaube, dass mit jedem Pädophilen, den ich aus dem Verkehr ziehe, die Welt für meine drei Kinder ein Stück sicherer wird.«
83
»Wie wär’s, wenn Sie mir noch beim Abendessen Gesellschaft leisten?«, schlug Stanford vor.
Der Ober brachte uns die Speisekarten, und da die Acht-Uhr-Maschine nach San Francisco ohnehin gerade ohne uns abgehoben hatte, nahmen wir Stanfords Einladung an.
Er bestellte eine Flasche Pinot Grigio, worauf Conklin und ich ihm berichteten, was wir über die Entführung und den Mord an Paola Ricci wussten.
»Ehrlich gesagt, wir sind ziemlich aufgeschmissen«, gestand ich. »Die Sackgassen, in die wir geraten, führen immer nur in weitere Sackgassen. Wir sind inzwischen schätzungsweise in der fünften Sackgassen-Generation.«
Unsere Steaks kamen, und Stanford bestellte noch eine Flasche Wein. Und zum ersten Mal an
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