Die 6. Geisel - Thriller
hätte ins Kreuzverhör gehen sollen«, sagte sie zu mir, nachdem wir bestellt hatten. Das Lokal war proppenvoll mit Anwälten und ihren Mandanten, Polizisten und Justizangestellten aller Art. Yuki musste die Stimme heben, um sich in dem Lärm verständlich zu machen. »Ich hätte dich fragen sollen, was du gedacht hast, als Brinkley dir von den Stimmen erzählte.«
»Wen interessiert es, was ich gedacht habe? Das ist doch nicht weiter wichtig.«
»Oh, das ist sehr wohl wichtig.« Yuki fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Sergeant Boxer, was haben Sie gedacht, als Mr. Brinkley Ihnen erzählte, dass er Stimmen hörte, die ihn zum Töten aufforderten?«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Komm schon, Lindsay. Du hättest gesagt, dass er schon jetzt seine Verteidigung aufgrund von Unzurechnungsfähigkeit inszenierte.«
»Yuki, du kannst nicht alles hundertprozentig absichern. Du machst einen erstklassigen Job. Ehrlich, du kannst mir glauben.«
Yuki schnaubte verächtlich. »Mickey verdreht erfolgreich alles Negative ins Positive. ›Mein Mandant hat grundlos Menschen ermordet? Das bedeutet, dass er verrückt ist, nicht wahr?‹«
»Das ist alles, was er hat. Hör zu, Brinkley wirkte vernünftig, und das habe ich auch gesagt. Die Geschworenen werden Brinkley nicht einfach so glauben, wenn er behauptet, Stimmen zu hören.«
»Tja.« Yuki knüllte ihre Papierserviette zusammen. »Ich frage mich, was die beste Freundin von Staatsanwältin Marcia Clark wohl zu ihr gesagt hat, kurz bevor die Geschworenen O. J. Simpson für ›nicht schuldig‹ befanden. ›Keine Sorge, Marcia. Niemand wird sich an diesem Handschuh stören.‹«
Ich lehnte mich zurück, als Syd unsere Burger mit Bergen von Pommes brachte. »Übrigens«, sagte ich, »ich habe Mickey auf der Treppe vor dem Gericht gesehen, umringt von Reportern. Komisch, im Sommer haben wir ihn noch bewundert, weil er die Presse so um den Fingern wickeln konnte. Jetzt denke ich nur noch: Du Medienhure! «
Yuki lachte nicht.
»Yuki«, sagte ich und umschloss ihr Handgelenk mit den Fingern, »ich sag dir, wie du im Gericht rüberkommst: Du wirkst clever, du machst den Eindruck, dass du deinen Fall voll im Griff hast, und vor allem: du klingst überzeugend .«
»Okay, okay«, erwiderte sie. »Genug gejammert. Danke für deine Aussage. Danke für deine Unterstützung.«
»Tu mir einen Gefallen, Mädel.«
»Hmmm?«
»Führ deinem Körper ein paar Kalorien zu und hab ein bisschen Vertrauen in dich selbst.«
Yuki hob ihren Hamburger zum Mund und legte ihn wieder auf den Teller, ohne abgebissen zu haben. »Weißt du, was mit mir los ist, Linds? Ich habe einen Fehler gemacht. In einem Prozess wie diesem macht man keine Fehler. Nicht mal einen einzigen . Und zum ersten Mal kann ich mir ernsthaft vorstellen, möglicherweise zu verlieren.«
80
»Macklin hat gerade angerufen«, begrüßte mich Jacobi, als ich nach der Mittagspause in den Bereitschaftsraum zurückkam. Während ich ihm mit Conklin in sein Büro folgte, fuhr er fort: »Vor drei Stunden wurde in Los Angeles ein Kind auf der Straße entführt. Ein kleiner Junge. Soll so eine Art Mathegenie sein.«
Ich setzte mich gar nicht erst hin.
Stattdessen bombardierte ich Jacobi mit Fragen: Waren die Entführer mit einem schwarzen Van gekommen? Waren am Tatort irgendwelche Spuren gesichert worden? Gab es ein Kennzeichen, eine Beschreibung - irgendetwas? Waren die Eltern des Kindes überprüft worden? Hatten sie von dem Entführer gehört? Kurz, gab es Parallelen zur Entführung von Madison Tyler?
»Nicht so stürmisch, Boxer, ja?«, bremste mich Jacobi, während er den Rest seines Cheeseburgers in den Abfalleimer feuerte. »Du kriegst von mir alles, was ich habe, jedes kleinste Detail.«
»Aber zackig, wenn ich bitten darf«, erwiderte ich lachend. Dann setzte ich mich doch hin, stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und spitzte die Ohren.
»Die Eltern waren im Haus, während der Junge hinten im Garten spielte«, informierte Jacobi uns. »Die Mutter hörte auf der Straße Reifen quietschen. Sie telefonierte gerade, und als sie einen Blick aus dem Fenster warf, sah sie einen schwarzen Van um die Ecke schießen. Sie dachte sich nichts weiter dabei. Ein paar Minuten später schaute sie in den Garten und stellte fest, dass der Junge verschwunden war.«
»Ist der Kleine vielleicht auf die Straße gelaufen?«, fragte Conklin.
»Schon möglich. Das Tor war offen. Entweder hat der Junge
es aufgemacht - ist ja wie gesagt
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