Die 7 Geheimnisse Der Schildkroete
Doch zu dem verständlichen Mitleid für das Kind oder die Eltern gesellt sich oft der Wunsch nach harter Strafe; und oft wird dabei sogar der Ruf nach der Todesstrafe laut. Ein völlig sinnloser Krieg (sind Kriege das nicht immer?) kann uns so wütend machen, dass wir am liebsten eingreifen würden, um den Verursacher – notfalls mit Waffengewalt – in seine Schranken zu weisen. Hungersnöte, die reiche Länder leicht verhindern könnten, Ungerechtigkeit, korrupte Politiker, raffgierige Manager oder Nachbarn, die einem mit ihren Unverschämtheiten den Tag verderben – all das kann Wut, Hass und Gewalt in uns auslösen. Manchmal kommt auch vieles zusammen.
Es ist nicht so einfach, niemals in Wut zu geraten. Vielleicht haben ja auch Sie daher hin und wieder das Gefühl, dass Sie kurz vor dem Platzen stehen. Das ist ein Gefühl, das nicht angenehm ist. Und doch fällt es den meisten von uns schwer, völlig ohne Aggression zu leben. Der Glaube, dass Aggression zwar nicht schön ist, aber – zumindest in bestimmten Fällen – doch notwendig, ja, dass ein wenig Aggressivität sogar gut sei, ist sehr weit verbreitet.
Rantan, der Skorpion, war eigentlich ein netter Kerl. Aber oft war er so aggressiv, dass ihn die anderen mieden. Er hatte schon viel von der weisen Schildkröte Kurma gehört, und so suchte er sie eines Tages auf, um Rat zu erhalten. »Meisterin, was kann ich dagegen tun, dass ich so schnell in Wut gerate?« Kurma lächelte ihn an, sprach aber kein Wort. »Meisterin, habt Ihr mich nicht gehört?« Rantan spürte, wie die Wut in ihm aufstieg, und sein Stachel begann zu zittern. Kurma sagte immer noch nichts, sondern lächelte ihn nur freundlich an. »Ach, mögt Ihr doch vom Krokodil gefressen werden!«, schrie er schließlich und wandte sich zum Gehen. Da lachte Kurma laut auf und sprach: »Rantan, mein Lieber, sei doch nicht so hart zu dir selbst!«
Wut richtet sich nicht nur gegen jemand anderen , sondern vor allem gegen den Wütenden. Wut ist immer schädlich. Am allermeisten für den, der wütend ist. Der römische Philosoph Publius Syrus sagte einmal: »Der Zornige wird gegen sich selbst wüten, wenn er zur Vernunft zurückgekehrt ist.« Und das trifft eigentlich immer zu. Denn in der Regel hält die Wut nicht lange vor. Im Zorn bricht sich die Gewalt Bahn; mit Worten oder sogar mit Taten. Die wenigsten Morde und kein einziger Amoklauf werden kaltblütig ausgeführt. Wieder bei klarem Verstand kommt oft die Scham, meist die Reue, immer aber ein neuer Ärger – der Ärger über sich selbst.
Plötzlich steht man als Tor, als Rohling oder sogar als Mörder da und weiß kaum, wie es geschehen konnte, dass man die Kontrolle so sehr verlieren konnte.
Jeder kennt wohl das Gefühl, das mit einem Kribbeln im Bauch beginnt und dann in den Kopf aufsteigt – wir machen uns bereit für Kampf oder Flucht. Unser Gefühl drängt uns zum Handeln. Wir haben das Gefühl, dass sich irgendetwas Raum verschaffen muss. Wenn wir das dann unterdrücken oder aufgrund der Umstände unterdrücken müssen, ist das sehr belastend für uns. Und das ist auch kein Wunder, denn es ist geradezu ungesund, die Wut zu unterdrücken. Leider ist es aber auch nicht besser, der Wut freien Lauf zu lassen. Nicht mit Taten, nicht mit Worten, ja nicht einmal mit verborgenen Gefühlen.
Die Friedfertigkeit ist keine Kunst, die wir nur um anderer willen kultivieren sollten – im Gegenteil: Letztlich geht es vor allem auch darum, uns selbst etwas Gutes zu tun (und uns größeren Ärger zu ersparen).
Aus Kurmas Übungen: Der Wut auf die Schliche kommen
Erinnern Sie sich kurz an eine Situation, in der Sie sich furchtbar aufgeregt haben. Denken Sie einmal daran zurück, wie Sie sich dabei gefühlt haben (wahrscheinlich äußerst unangenehm). Stellen Sie sich in allen Einzelheiten vor, wie die Wut sich angefühlt hat – körperlich und seelisch. Können Sie sich noch daran erinnern, was Ihnen die Aufregung letztlich gebracht hat? Wahrscheinlich nichts, oder bestenfalls Bauchschmerzen. Vielleicht scheint es Ihnen so, als ob die Wut schon nützlich war; beispielsweise dann, wenn Sie sich mit Aggression durchsetzen konnten. Wenn Sie aber ein wenig selbstkritisch hinsehen, werden Sie feststellen, dass es nicht wegen der Wut, sondern trotz der Wut funktioniert hat.
Versuchen Sie in Zukunft, Ihrer Wut auf die Schliche zu kommen. Wann entsteht sie und warum? Versuchen Sie zu spüren, wie die Wut Ihren Körper verändert – wie
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