Die 7 Suenden
einem Ständer, wo es zwei Bücher zum Preis von einem gab. Hier war nicht die geringste Ähnlichkeit mit den klimagekühlten Geschäften der Buchhandelsketten mit ihren integrierten Espressobars und ohrenfreundlichem Jazzgedudel zu erkennen.
An der Kasse stand ein androgynes Wesen Mitte zwanzig, ganz in Schwarz gekleidet, die Haare zu einer Art Bürste geschnitten und mit zahlreichen Piercings im Gesicht. Ich erkundigte mich nach Linc Weber, und das Wesen teilte mir mit süßer, weiblicher Stimme mit, dass Linc oben bei der Arbeit sei.
Ich konnte das Scharren der in den Bücherstapeln hausenden Mäuse beinahe hören, während wir uns durch schmale Gänge und an Kunden vorbei schoben, die allesamt den Eindruck machten, als hätten sie mit schweren psychischen Problemen zu kämpfen. Im hinteren Teil des Ladens sahen wir eine einfache Holztreppe, vor der eine Kette mit einem Schild gespannt war. Darauf stand KEIN EINTRITT.
Conklin hängte die Kette aus, und wir stiegen die Treppe hinauf, die in einen ausgebauten Dachstuhl führte. Die Zimmerdecke sah zwar aus wie in einer Kathedrale, war an ihrem höchsten Punkt jedoch nur zwei Meter fünfzig hoch, an den Seiten knapp einen Meter. Im hinteren Teil standen hohe Stapel mit Zeitschriften, losen Blättern und Büchern, dazwischen ein Computer mit zwei großen Bildschirmen.
Hinter dem Schreibtisch saß ein junges schwarzes Bürschchen, schätzungsweise fünfzehn Jahre alt, spindeldürr, schwarz umrandete Brille, ohne sichtbare Tätowierungen oder Schmuck, abgesehen von einer Zahnspange, die deutlich zu erkennen war, als er uns entgegenlächelte.
Meine Hoffnung schwand.
Das war nicht Pidge. Der Gouverneur hatte ihn als untersetzten Weißen mit langen, braunen Haaren beschrieben.
»Ich bin Linc«, sagte der Junge. »Herzlich willkommen bei CrimeWeb dot com.«
112
Linc Weber sagte, es sei ihm »eine Ehre«, uns kennen zu lernen. Er deutete auf zwei weiche Würfel mit Plastiküberzug und bot uns Mineralwasser aus dem Kühlschrank hinter seinem Schreibtisch an.
Wir setzten uns und lehnten das Wasser ab.
»Wir haben den Text auf Ihrer Webseite gelesen«, sagte Conklin beiläufig, »und wir würden gerne erfahren, wie Sie die Täter einschätzen, die die Häuser der Malones und der Meachams in Brand gesteckt haben.«
Der Junge sagte: »Vielleicht ist es ja am besten, wenn ich erst mal von vorne anfange.«
Normalerweise war das eine prima Idee, aber heute waren meine Nerven so gespannt, dass ich ihm am liebsten einfach nur zwei Fragen gestellt hätte, mit der Bitte um möglichst einfache, präzise Antworten: Warum hast du auf deiner Webseite ein lateinisches Zitat verwendet? Kennst du jemanden, der auf den Namen Pidge hört?
Aber Linc Weber sagte, dass die Polizei noch nie zu ihm gekommen war und dass seine Arbeit und seine Webseite durch dieses Treffen eine Anerkennung gefunden hätten, von der er nie zu träumen gewagt habe. Im Verlauf der folgenden Viertelstunde teilte er uns mit, dass sein Vater der Inhaber des Damned Spot war und dass er selbst, seitdem er lesen konnte, eine Leidenschaft für Krimis gehabt hatte. Er sagte, dass er nach der Schule Verleger für Krimis und Tatsachenromane über reale Verbrechen werden wollte.
Dann unterbrach ich seine Lebensgeschichte. »Linc, auf Ihrer Webseite steht ›Ich wünsche dir einen schönen Tag‹ auf Latein. Warum?«
»Ach so. Das lateinische Zitat. Die Idee habe ich aus dem da.«
Linc wühlte in den Stapeln auf seinem Schreibtisch und zog schließlich ein ungefähr zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter großes Taschenbuch hervor. Auf dem Einband stand in elegant geschwungenen Buchstaben Die Sieben Sünden . Er gab es mir. Mit angehaltenem Atem blätterte ich es durch. Es sah zwar aus wie ein dickes Comic-Heft, war aber eine graphic novel .
»Das ist zuerst als Blog erschienen«, sagte Weber. »Dann hat mein Dad eine Erstausgabe gemacht.«
»Und das lateinische Zitat?«, wiederholte ich. Meine Kehle war durch die Anspannung und die konkreten Perspektiven, die ich fast plastisch vor mir sehen konnte, wie zugeschnürt.
»Steht alles da drin«, meinte Weber. »Die Figuren in diesem Roman benützen auch lateinische Sprichwörter. Hören Sie, darf ich auf meiner Webseite erwähnen, dass Sie mich als Berater hinzugezogen haben? Sie können sich gar nicht vorstellen, was mir das bedeuten würde.«
Ich betrachtete den Einband des Buches, das ich in Händen hielt. Unter dem Titel waren die Namen des Illustrators und
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