Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Fenster darf.«
»Und drittens«, fuhr der Einjährigfreiwillige fort, »soll für ein Gefäß mit Trinkwasser gesorgt sein. Darum haben Sie sich nicht gekümmert. Apropos! Wissen Sie, in welcher Station Menage verteilt werden wird? Sie wissen es nicht? Ich hab mir gedacht, daß Sie sich nicht informiert haben …«
»Also sehn Sie, Herr Korporal«, bemerkte Schwejk, »daß es keine Hetz is, Arrestanten zu fahren. Um uns muß man sich kümmern, wir sind keine gewöhnlichen Soldaten, die sich selbst um sich sorgen müssen. Uns muß man alles unter die Nase bringen, weil drauf Verordnungen und Paragraphen sind, nach denen sich jeder richten muß, weil sonst keine Ordnung wär. ›Ein eingesperrter Mensch is wie ein Kind im Wickelbett‹, pflegte ein bekannter Landstreicher von mir zu sagen, ›man muß ihn pflegen, damit er sich nicht erkältet, damit er sich nicht aufregt und mit seinem Schicksal zufrieden is und sieht, daß man ihm, Armitschkerl, nichts zuleid tut.‹
Übrigens«, sagte Schwejk bald darauf, den Korporal freundschaftlich anblickend, »bis elf sein wird, sagen Sies mir freundlichst.«
Der Korporal schaute Schwejk fragend an.
»Sie ham mich, mir scheint, fragen wolln, Herr Korporal, warum Sie mir sagen solln, bis elf sein wird. Von elf Uhr an gehör ich in den Viehwagen, Herr Korporal«, sagte Schwejk nachdrücklich und fuhr mit feierlicher Stimme fort: »Ich bin beim Regimentsrapport zu drei Tagen verurteilt worn. Um elf Uhr hab ich meine Strafe angetreten, und heut um elf muß ich freigelassen wern. Ab elf Uhr hab ich hier nichts zu tun. Kein Soldat darf länger eingesperrt sein, wies ihm gebührt, weil man beim Militär Disziplin und Ordnung wahren muß, Herr Korporal.«
Der verzweifelte Korporal konnte sich nach diesem Schlag lange nicht erholen, bis er schließlich einwandte, daß er keine Papiere erhalten habe.
»Lieber Herr Korporal«, ließ sich der Einjährigfreiwillige vernehmen, »die Papiere kommen nicht von selbst zum Eskortekommandanten. Wenn der Berg nicht zu Mohammed kommt, |340| muß der Eskortekommandant selbst die Papiere holen. Sie befinden sich jetzt vor einer neuen Situation. Unbedingt dürfen Sie niemanden zurückhalten, der in die Freiheit gelangen soll. Andrerseits darf nach den geltenden Vorschriften niemand den Arrestantenwaggon verlassen. Wirklich, ich weiß nicht, wie Sie sich aus dieser Situation herausdrehn werden. Je weiter, desto schlimmer. Jetzt ist es halb elf.«
Der Einjährigfreiwillige steckte die Taschenuhr ein.
»Ich bin sehr neugierig, Herr Korporal, was Sie in einer halben Stunde machen werden.«
»In einer halben Stunde gehör ich in den Viehwaggon«, wiederholte Schwejk träumerisch, worauf sich der Korporal völlig verwirrt und vernichtet an ihn wandte: »Wenns Ihnen nicht unangenehm sein wird, denk ich, daß es hier viel bequemer is als im Viehwagen. Ich denk …«
Er wurde durch einen Schrei unterbrochen, den der Oberfeldkurat im Schlafe ausstieß: »Mehr Soße!«
»Schlaf, schlaf«, sagte Schwejk gutmütig, einen Mantelzipfel, der von der Bank gefallen war, unter den Kopf des Oberfeldkuraten schiebend, »laß dir weiter was Hübsches vom Fressen träumen.«
Und der Einjährigfreiwillige begann zu singen:
Schlaf, Kindlein, schlaf,
deine Mutter hütet Schaf,
dein Vater ist in Pommerland,
Pommerland ist abgebrannt.
Der verzweifelte Korporal reagierte auf nichts mehr.
Er blickte stumpf auf die Landschaft und ließ der vollkommenen Desorganisation im Arrestantenkupee freien Lauf.
An der Seitenwand spielten die Soldaten aus der Eskorte »Maso«, und auf die Hinterbacken fielen kräftige und ehrliche Hiebe. Als er sich in dieser Richtung umdrehte, blickte ihn gerade der Hintere eines Infanteristen herausfordernd an. Der Korporal seufzte und wandte sich abermals dem Fenster zu.
Der Einjährigfreiwillige dachte eine Zeitlang über etwas nach, |341| dann kehrte er sich dem vernichteten Korporal zu: »Kennen Sie vielleicht die Zeitschrift ›Die Tierwelt‹?«
»Diese Zeitschrift«, entgegnete der Korporal, sichtlich erfreut, weil das Gespräch auf ein anderes Gebiet überging, »hat der Wirt bei uns im Dorf abonniert gehabt, weil er schrecklich gern Angoraziegen gehabt hat und ihm alle krepiert sind. Drum hat er in dieser Zeitung um Rat gefragt.«
»Lieber Kamerad«, sagte der Einjährigfreiwillige, »das, was ich Ihnen jetzt erzählen werde, wird Ihnen ungemein deutlich beweisen, daß niemand fehlerfrei ist! Ich bin überzeugt, meine Herren,
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