Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Herr Oberlajtnant keine Freunde. Der Rechnungsfeldwebel bei der Kompanie is kein Gefreiter, mit dem sich jeder was auswischen kann.«
Baloun, der mit offenem Mund zuhörte, sprach jetzt statt Wanĕk, vielleicht um sich auch ins Gespräch zu mischen, das schöne Wort aus, das dieser nicht gesagt hatte.
|503| »Sie dort wern kuschen«, sagte der Rechnungsfeldwebel aufgeregt.
»Hör mal, Baloun«, ließ sich Schwejk vernehmen, »dir soll ich ausrichten, du sollst dem Herrn Oberlajtnant, bis wir nach Pest kommen, eine Semmel und die Leberpastete, was der Oberlajtnant unten im Kofferl in Stanniol hat, in den Waggon bringen.«
Der Riese Baloun ließ verzweifelt seine langen Schimpansenarme herabhängen, verkrümmte den Rücken und verharrte ziemlich lange in dieser Stellung.
»Ich habs nicht«, sagte er mit leiser, verzweifelter Stimme, auf den schmutzigen Boden des Waggons blickend.
»Ich habs nicht«, wiederholte er abgerissen, »ich hab gedacht … Ich hab sie vor der Abfahrt aufgewickelt … Ich hab zu ihr gerochen – ob sie nicht verdorben is …
Ich hab sie gekostet«, rief er in einer so aufrichtigen Verzweiflung, daß allen alles völlig klar ward.
»Sie ham sie mitsamtn Stanniol aufgefressen«, sagte Rechnungsfeldwebel Wanĕk und blieb vor Baloun stehen; Wanĕk war froh, weil er nicht länger seine Ansicht vertreten mußte, daß er nicht allein ein Esel sei, wie ihm der Oberleutnant hatte sagen lassen, sondern daß die Ursache des unbekannten schwankenden Standes tiefere Gründe in anderen Eseln habe, und weil das Gespräch jetzt auf den angefressenen Baloun übergegangen war und sich nun um ihn und diese neue tragische Begebenheit drehte. Wanĕk bekam große Lust, Baloun etwas unangenehm Moralisches zu sagen, als ihm der Koch-Okkultist Jurajda zuvorkam; er legte sein geliebtes Buch, die Übersetzung der altindischen »Sùter Pragùa-Paramita«, beiseite und wandte sich an den verdutzten Baloun, der sich unter der Last des Schicksals noch mehr duckte: »Sie sollten selbst über sich wachen, Baloun, damit Sie nicht das Vertrauen zu sich selbst und das Vertrauen zum Schicksal verlieren. Sie sollten nicht auf Ihre Rechnung schreiben, was das Verdienst anderer ist. Wann immer Sie einem ähnlichen Problem gegenüberstehen, daß Sie aufgefressen haben, fragen Sie sich stets selbst: ›In welchem Verhältnis steht die Leberpastete zu mir?‹«
|504| Schwejk hielt es für angezeigt, diese Erwägung durch ein praktisches Beispiel zu ergänzen: »Du hast mir selbst neulich erzählt, Baloun, daß man bei euch schlachten und räuchern wird und daß man dir gleich, sobald wir nur an Ort und Stelle sein wern, und du die Feldpostnummer wissen wirst, einen Schinken schicken wird. Jetzt stell dir vor, daß sie diesen Schinken zur Kompanie schicken möchten und wir uns mitn Herrn Rechnungsfeldwebel jeder ein Stückerl abschneiden würden und es uns schmecken möcht, als noch ein Stückerl, bis es mit dem Schinken ausfalln tät wie mit einem bekannten Briefträger von mir, einem gewissen Kozl. Der hat Beinfraß gehabt, so hat man ihm zuerst das Bein bis zum Knöchl abgeschnitten, dann bis unters Knie, dann den Schenkel, und wenn er nicht rechtzeitig gestorben wär, hätten sie fort an ihm herumgeschnitten wie an einem abgebrochenen Bleistift.
Stell dir also vor, Baloun, daß wir dir den Schinken so aufgefressen hätten, wie du dem Herrn Oberlajtnant die Leberpastete aufgefressen hast.«
Der Riese Baloun blickte alle traurig an.
»Nur durch meine Fürsprache und mein Verdienst«, sagte der Rechnungsfeldwebel zu Baloun, »sind Sie Bursch beim Herrn Oberlajtnant geblieben. Sie hätten zur Sanität versetzt werden und die Verwundeten ausn Gefecht tragen solln. Bei Dukla sind die Sanitäter von uns dreimal hintereinander um einen verwundeten Fähnrich hinausgegangen, der vor den Drahthindernissen einen Bauchschuß bekommen hat, und alle sind dortgeblieben, lauter Kopfschüsse. Erst das vierte Paar hat ihn gebracht, aber bevor sie ihn auf den Hilfsplatz getragen ham, war der Fähnrich tot.«
Baloun hielt sich nicht mehr zurück und schluchzte laut.
»Daß du dich nicht schämst«, sagte Schwejk verächtlich, »du willst ein Soldat sein …!«
»Wenn ich nicht fürn Krieg geschaffen bin«, jammerte Baloun, »es ist wahr, ich bin nicht angefressen, nicht satt gefressen, weil man mich aus meinem ordentlichen Leben herausgerissen hat. Nämlich das is bei uns in der Familie. Mein seliger Vater, der hat in Protiwin im Wirtshaus
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