Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
die Rettung der sich zersetzenden Disziplin im Bataillon einzig und allein von ihm abhänge. Deshalb umschritt er noch einmal den ganzen Bahnhofsplatz. In der Nähe eines Magazins, an dem sich eine große Tafel mit der magyarisch-deutschen Aufschrift befand, daß man hier nicht rauchen dürfe, erblickte er einen Soldaten, der dort saß und eine Zeitung las, die ihn so verdeckte, daß man seine Aufschläge nicht sah. Er schrie ihm »Habtacht!« zu; es war ein Soldat des magyarischen Regimentes, das in Humenna in Reserve stand.
Leutnant Dub rüttelte ihn, der magyarische Soldat stand auf, hielt es nicht einmal für nötig, zu salutieren, steckte nur die Zeitung in die Tasche und entfernte sich in der Richtung der Straße. Leutnant Dub ging ihm wie benebelt nach, aber der magyarische Soldat beschleunigte seine Schritte; dann drehte er sich um und hob höhnisch die Hände in die Höh, damit Leutnant Dub keinen Augenblick lang daran zweifle, daß der Soldat Dubs Angehörigkeit zu einem tschechischen Regiment sofort erkannt hatte. Dann verschwand der Magyar im Galopp zwischen den nahen Hütten der Straße.
|618| Um irgendwie zu bekunden, daß er mit dieser Szene nichts gemein habe, betrat Leutnant Dub majestätisch einen kleinen Laden an der Straße, zeigte verwirrt auf eine Spule schwarzen Zwirns, steckte sie in die Tasche, bezahlte und kehrte in den Stabswaggon zurück; dann ließ er von der Bataillonsordonnanz seinen Diener Kunert holen und sagte ihm, indem er ihm den Zwirn übergab: »Ich muß mich um alles kümmern, Sie haben gewiß vergessen, Zwirn mitzunehmen.«
»Melde gehorsamst, Herr Lajtnant, daß ich ein ganzes Dutzend hab.«
»Also zeigen Sie mir ihn sofort, und daß Sie gleich damit wieder da sind, oder meinen Sie, daß ich Ihnen glaube?«
Als Kunert mit einer ganzen Schachtel weißer und schwarzer Spulen zurückkehrte, sagte Leutnant Dub: »Siehst du, Kerl, schau dir den Zwirn an, den du gebracht hast, und schau dir meine große Spule an! Schau, wie dünn dein Zwirn ist und wie leicht er zerreißt, und schau dir meinen an, was das für Arbeit gibt, bevor du ihn abreißt. Im Feld können wir keine Fetzen brauchen, im Feld muß alles gediegen sein. Also nimm wieder alle Spulen mit und wart meine Befehle ab und merk dir, nächstens mach nichts selbständig nach deinem Kopf und komm mich fragen, wenn du etwas kaufst! Wünsch dir nicht, mich kennenzulernen, du kennst mich noch nicht von der schlechten Seite.«
Nachdem Kunert gegangen war, wandte sich Leutnant Dub an Oberleutnant Lukasch: »Mein Bursch ist ein sehr intelligenter Mensch. Hie und da macht er einen Fehler, aber sonst kapiert er sehr gut. Das Beste an ihm ist seine vollständige Ehrlichkeit. Ich hab nach Bruck ein Paket von meinem Schwager vom Land bekommen, ein paar gebratene junge Gänse, und werden Sie glauben, daß er sie nicht einmal berührt hat? Und weil ich sie nicht rasch genug aufessen konnte, hat er sie lieber verstinken lassen. Das macht freilich die Disziplin: Ein Offizier muß sich die Soldaten erziehen.«
Um merken zu lassen, daß er dem Gequatsch dieses Idioten nicht zuhöre, kehrte sich der Oberleutnant dem Fenster zu und sagte: »Ja, heute ist Mittwoch.«
|619| In dem Bedürfnis, etwas zu sprechen, wandte sich Leutnant Dub also an Hauptmann Sagner und sagte in einem ganz vertraulichen, kameradschaftlichen Ton: »Hören Sie, Hauptmann Sagner, was halten Sie …«
»Pardon, einen Moment«, sagte Hauptmann Sagner und verließ den Waggon.
Inzwischen unterhielten sich Schwejk und Kunert über Kunerts Herrn.
»Wo warst du die ganze Zeit, daß du gar nicht zu sehn warst?« fragte Schwejk.
»Aber das weißt du doch«, sagte Kunert, »mit meinem blöden Alten is fort Arbeit. Der ruft dich jede Weile zu sich und fragt dich nach Sachen, die dich nichts angehn. Er hat mich auch gefragt, ob ich dein Kamerad bin, und ich hab gesagt, daß wir uns sehr wenig sehn.«
»Das is sehr hübsch von ihm, daß er nach mir fragt. Ich hab ihn sehr gern, deinen Herrn Lajtnant. Er is so brav und gutherzig und auf die Soldaten wie ein Vater«, sagte Schwejk ernst.
»Ja, da irrst du dich«, widersprach Kunert, »das is ein hübsches Schwein, und blöd is er wie Dreck. Ich hab ihn schon bis zum Hals satt, fort sekkiert er mich nur.«
»Aber geh weg«, wunderte sich Schwejk, »ich hab doch gedacht, daß er so ein wirklich braver Mensch is. Du sprichst aber sehr komisch von deinem Lajtnant, aber das is schon bei jedem Putzfleck angeboren. Da hast du
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