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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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sie nach ihr sieht, ist sie ein Stück gewachsen. Und wärmer ist sie auch geworden. Und schließlich ist die Leiter so groß wie das Rohr bei unserem Kachelofen und so heiß, dass sie sich das Jäckchen ausziehen muss, weil sie schwitzt. Aber sie traut sich nicht, zur Seite zu gehen. Sie hat Angst, die Leiter könnte ihr gestohlen werden. Außerdem hat sie Angst, ich würde sie nicht erkennen ohne ihre Leiter und an ihr vorbeigehen in dem großen Bahnhof. Janna hat mich gefragt, warum sie solche Dinge träumt. Sie war durcheinander und unglücklich und hat ihren Mund nach unten gezogen. Ich habe zu ihr gesagt, sie soll sich freuen, wenn sie träumt. Träume tun einem nichts, aber manchmal sind sie so spannend, dass man um sechs Uhr in der Früh die Mama aufwecken muss, um sie zu erzählen. Aber ich konnte sie nicht beruhigen. Was denkst du darüber, Andres?«
    Nichts wusste ich über Janna. Leif hatte nie ein Wort über sie verloren, sein Vater auch nicht. Ich hatte sie oben im Haus kreischen hören, und ihre Puppenkleider und Frisierköpfe waren seit einem Monat über die Terrasse verstreut. Einmal war sie mir über den Weg gelaufen, raus aus der Haustür, über die Steintreppe hinunter im Galopp, den braunen Wollrock hoch über dem Bäuchlein, und hurtig an mir vorbei, der ich gerade aus der Garage kam, und hatte um die Ecke geschaut und mir ihre breiten Schneidezähne gezeigt. Als ich ihr viele Jahre später begegnete, war ihre Brust tätowiert, ein Pegasus mit Flügeln von Achselhöhle zu Achselhöhle entlang der Schlüsselbeine wie ein gesticktes bleifarbenes Hemd, und sie wusste nicht, wer ich war.
    »Hat die Leiter mit Janna gesprochen?«, fragte ich.
    Frau Lundin löffelte eilig ihren Eiskaffee und trank in einem Zug das Glas Wasser aus. »Ich denke, ja. Ich denke, das hat die Leiter, ja, Andres, das hat sie. Du sagst das einfach dahin … was soll ich denken … du sagst das einfach dahin. Woher weißt du das?«
    »Weiß nicht, Frau Lundin.«
    »Mein Mann und Leif haben dich mir und Janna weggenommen. Aber eigentlich gehörst du zu uns, das weiß ich. Das stimmt doch, oder?«
    »Ja, Frau Lundin.«
    »Leif hält mich für ein bisschen blöd. Hat er immer schon. Schon, als er so alt war wie Janna. Stell dir das vor! Ein Bub von sieben Jahren, der seine Mama für ein bisschen blöd hält! Olivia spricht nicht mit mir, aber sie spricht mit niemandem. Und wenn sie spricht, versteht man nichts. Leif sagt, ihr beide werdet Kompagnons werden und Geld in Tonnen, nicht in Kilo verdienen. Das sagt mein Mann auch. Sie berichten mir, was für Ideen du hast. Hast du Ideen, Andres? Sie haben Ideen. Ich halte gerade so viel von Ideen! Ich halte auch nicht viel von Leif. Es wird nie der Mensch aus ihm werden, den er sich vorstellt. Und von Olivia halte ich auch nicht viel. Ich traue ihr nichts zu. Außer Trotz und Zorn. Aber was wird sie damit anfangen können? Sie kann nur das Gegenteil von dem zeigen, was sie empfindet. Mit wem soll ich über Janna sprechen und über ihren Traum? Ich habe viel über dich nachgedacht, Andres. Ich glaube, viele Menschen denken viel über dich nach. Wenn ich euch in der Garage besucht habe, habe ich dich beobachtet. Wie du dich auf Leif konzentriert hast! Man kann sich auf Leif nicht konzentrieren. Du kannst es. Du bist der außerordentlichste Mensch, dem ich je begegnet bin. Weißt du, was die Leiter im Traum zu Janna gesagt hat? Sie hat gesagt, sie muss keine Angst haben, es gibt jemanden, der auf sie aufpasst. Ich habe zu Janna gesagt: Janna, das bin ich, ich bin das, Janna, deine Mama. Sie hat den Kopf geschüttelt, und ich habe gedacht, sie hat recht, ich bin es nicht, ich wäre es nur gern. Ich habe hier nichts verloren, Andres, ich gehöre nicht hierher. Auf und davon sollte ich, jetzt gleich. Aufstehen und weg, weg, weg! Mein Leben, mein Leben … Ich habe gesagt: Wer passt auf dich auf, Janna? Sie sagte, sie wisse es nicht genau, und war traurig, dass sie es nicht genau wusste. Du bist mir eingefallen, Andres. Ich weiß, Janna meint dich. Ich kann nicht wissen, was für ein Leben du haben wirst, ich hoffe, es wird ein glückliches Leben sein für dich und für alle, die mit dir zu tun haben. Vielleicht triffst du Janna in deinem Leben das eine oder andere Mal. Willst du auf sie aufpassen, Andres? Bitte. Ein bisschen wenigstens?«
    Es war ein über und über blauer Tag mit vielen zwitschernden Vögeln darin. Die Sonne wärmte meinen Rücken, sie war 150 Millionen Kilometer entfernt,

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