Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
starb, ging der zweitreichste Mann Skandinaviens. Ich habe mir die deutsche Übersetzung vor ein paar Monaten über ein Internetantiquariat besorgt. Er hatte das Buch von einem jungen Schriftsteller schreiben lassen, dessen Name steht unter dem Titel auf der Innenseite. Im Nachwort schreibt derselbe, das Buch sei nach Hunderten Stunden Interviews entstanden. Auf dem Umschlag ist das Bild eines sehr alten lächelnden Mannes zu sehen, das Gesicht von stürmischen Koteletten eingerahmt. Ich komme in dem Buch auch vor, ohne jedoch beim Namen genannt zu werden.
Per Albin Lundin wurde 1908 in Stockholm geboren, als jüngstes von sechs Kindern. Der Vater war Viehhändler, er gründete den ersten fleischverarbeitenden Betrieb in Schweden, der nicht auf dem Land, sondern in der Stadt seinen Sitz hatte, die erste Fleischfabrik also. Dieser Mann hat vor jedem und bei jeder Gelegenheit verkündet, dass er das Land hasse und die Bauern hasse und das Produkt, das er in seiner Fabrik herstelle, entweder auf dem Teller oder gar nicht sehen wolle. Er war ein Kapitalist, der sich ausschließlich ums Geld und den Handel kümmerte und nicht um die Ware. Herr Lundin hat sich an die Devise seines Vaters gehalten. Er habe nicht ein einziges Mal eine Produktionsstätte besucht, er habe nur gehandelt, Betriebe an die Börse gebracht, Betriebe verkauft und gekauft, auf Gewinn und Verlust spekuliert und Märkte erschlossen. Dass sich seine Tätigkeiten hauptsächlich im Lebensmittelbereich entfalteten, sei mehr Zufall als Familientradition, er hätte sich auch auf die Pharmaindustrie konzentrieren können – beide Bereiche seien krisenstabil –, »Der Mensch ist hungrig und krank«.
Herr Lundin war vierzig, als er seine zukünftige Frau kennen lernte, sie entstammte einer kleinbürgerlichen Familie, ihr Vater war Beamter in der Bezirksverwaltung von Stockholms län. Vor seiner Heirat, erzählt er in seinem Buch, sei er ein waghalsiger Mann gewesen; ausführlich schildert er seine Segeltouren entlang der Küste Norwegens, seine Aquavitschluckwettbewerbe mit Dockarbeitern in Stockholm, eine Expedition mit Freunden nach Spitzbergen, die zu einem Desaster geriet, bei dem ein Mann seinen rechten Unterschenkel einbüßte, Ballonfahrten über die Ostsee und seinen ersten Fallschirmabsprung aus einer Cessna 172 über Umea. Mit der Gründung einer Familie sei die Sorge in sein Leben eingezogen – Sorge, dass den Kinder etwas zustoße, dass seiner Frau etwas zustoße, ob seinen Kinder die Anerkennung entgegengebracht werde, die sie seiner Meinung nach verdienten, dass die Familie einen guten Ruf habe und den guten Ruf erhalte und ob die Familie geliebt werde. Um der Familie den Vater zu erhalten, habe er mit der Fliegerei und Fallschirmspringerei aufgehört. Wenn er zu Hause gewesen sei – und er habe seine Geschäfte so organisiert, dass er nicht nur am Wochenende und im Urlaub mit der Familie zusammen sein konnte, sondern dazwischen immer wieder eine ganze Woche oder zehn Tage –, habe er sich um alles gekümmert, die Familie sei sein Hobby geworden, er habe die Kinder gewickelt, habe gekocht und gebügelt – den Bügelgeruch habe er geliebt –, er ging einkaufen, machte Frühstück, brachte die Kinder zur Schule, wenn sie den Bus verschlafen hatten, organisierte Geburtstagsfeten. Seine geschäftliche Kühnheit kontrastierte mit seiner häuslichen Ängstlichkeit, nach außen zeigte er Ellbogen, im Haus war sein Ton weich und zärtlich (wie ich mich erinnere, oft weinerlich). Er häufte Vermögen auf Vermögen, kaufte marode Betriebe auf, sanierte sie und verkaufte sie weiter, spekulierte geschickt und glücklich an der Börse; sein Ziel war es, dass die Familie bis in die vierte Generation – von ihm ab gerechnet – leben könne, ohne dass einer die Hand rühre. Seine Kinder, Enkel und Urenkel sollten selbständig werden wie er und erfolgreich wie er und ein eigenes Vermögen gründen wie er, aber vor dem Hintergrund größtmöglicher finanzieller Abgesichertheit und: in Erinnerung an ihn.
Viel erfahre ich aus seinen Memoiren über die Einsamkeit. Er nennt sie nicht beim Namen. Er war endlich in seiner Zukunft angelangt. Man muss so einem prachtvoll antizipierten Tempus gerecht werden, also darf man unter keinen Umständen am Ziel derselbe sein, der man auf dem Weg dorthin gewesen war; man muss ein Angekommener sein; man muss wenigstens so tun, als ob das Ende – trotz allem vor allem – aus Freude besteht und bevölkert ist, sonst
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