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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Hinterhältiges von mir ausginge, sollte mich jemand durch den Spion in der Tür von draußen beobachten. Ich stand unbeweglich, die Hände nicht zu nahe bei den Taschen, aber auch nicht zu weit weg, es sollte mir keine Absicht unterstellt werden können. Ich lächelte nicht, und betrübt schaute ich auch nicht drein. Ich stand und wartete. Eine Stunde stand ich. Dachte erst viel, mit zunehmender Entspanntheit weniger, schließlich nichts.
     

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    Als erste kamen die Spanier – Quique Jiménez und Juan Manuel Luengo Díaz. Sie arbeiteten auf den Feldern vor der Anstalt und hatten vor den Internen frei. Sie brachten immer wieder Sachen von draußen mit, im Frühling Karotten und Radieschen, im Herbst Tomaten, Paprika, Maiskolben und Obst (welches verboten war, weil Alkohol daraus gebrannt wurde, ein »Aufgesetzter«). Manchmal gab es Schokolade und andere Süßigkeiten, die ihnen von Bewohnern der Umgebung zugeworfen wurden, oder Zigaretten und Stumpen. Die meisten Wärter tolerierten das.
    Quique Jiménez sprach ausreichend Deutsch, um sich nicht nur über das Essen, die Arbeit, das Muskeltraining, die Räusche und die Frauen, sondern auch über das Heimweh im Allgemeinen und im Besonderen nach seinem Heimatstädtchen La Almunia de Doña Godina in der Nähe von Zaragoza zu unterhalten. Er war fünfundvierzig, klein, breit, muskulös, konnte lufteinwärts und luftauswärts lachen, was ich bis dahin nie gehört und gesehen hatte – er sagte, man müsse im Leben Zeit sparen –, konnte mit einer schnellen Bewegung der Lippen eine brennende Zigarette in der Mundhöhle verschwinden lassen und ohne zu schlucken eine Literflasche Wasser austrinken. Er trainierte mehrmals täglich mit den Hanteln und dem Expander und absolvierte hundert Liegestütze über dem Rahmen seines Bettes und war ein starker Schnarcher, weswegen, nach Intervention des Zellenvaters, regelmäßig Ohrenwachs an unser Haus ausgegeben wurde. Er hatte im Tessin den Besitzer eines Hotels erschlagen, als er von diesem beim Einbruch erwischt worden war. Er war auf einen Berg geflüchtet und mit der Absicht, sich zu töten, über einen Felsen gesprungen, hatte überlebt, war zusammengeflickt und zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Siebeneinhalb Jahre waren inzwischen »abgefetzt«; wegen guter Führung hatte sein Fall Chancen, nach weiteren siebeneinhalb Jahren günstig begutachtet zu werden.
    Juan Manuel Luengo Díaz war auf Jiménez angewiesen und wurde anständig von ihm behandelt. Er sprach nicht ein Wort Deutsch. Man nannte ihn Dissi. Oder Mäx. Er war ein paar Jahre jünger als sein Freund, schmächtig, nervös, hübsch, rassig, draußen wahrscheinlich ein Frauenliebling; er lachte nie und vermied, es mit uns anderen zu tun zu kriegen. Ohne Jiménez war er verloren und scheu wie ein Häschen. Er soll für den Tod einer Frau und deren minderjährigen Sohnes verantwortlich gewesen sein, Näheres habe ich nicht herausgekriegt. Auch als ich mich später in seiner Sprache mit ihm unterhielt, blickte er immer zuerst zu Jiménez, ehe er etwas sagte. Seine häufigste Frage: »¿Qué quieres decir?« Seine häufigste Antwort: »También creo.« Man konnte sich bei ihm nicht vorstellen, dass er auch nur eine Haselrute umknickte.
    Jiménez hielt mir die ausgestreckte Hand hin. Luengo Díaz nickte nur, schob sich an mir vorbei, kroch in ein unteres Bett, rollte sich in die Decke und zur Wand. Ich schüttelte Jiménez’ Hand und stellte mich vor, sagte aber nur meinen Namen und dass ich aus Liechtenstein überstellt worden sei. Er fragte, ob ich einen Keks wolle, ich sagte, gern. Er griff in eines der Kästchen, die auf dem Regal standen, und bot mir eine mit Schokolade überzogene Waffel, Marke Kägi-fretti , an. Ich brach mir ein Halbes ab – was mir Beherrschung abverlangte, ausgehungert wie ich war – und dankte. Er steckte sich die andere Hälfte in den Mund, und wir sahen uns beim Kauen an. Er sagte etwas auf spanisch, dann auf deutsch, dass er gern Süßes habe, ob ich auch. »Ich auch«, sagte ich. Er bot mir noch einmal an.
    Als Nächster wurde der Italiano gebracht – ein schlanker Mann im Unterhemd, kleiner als ich, das Haar lang und schwarz und hinter die Ohren gekämmt, ganovenhafte Koteletten, streitsüchtige Augen, eine Zigarette im Mund, an der er vor der Tür einmal heftig zog, ehe er sie zwischen den Fingern zerkrümelte. Er maulte dem Wärter nach und grüßte Quique Jiménez mit Handschlag und Luengo Díaz mit einem Klaps auf den

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