Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
Hintern. Und grüßte auch mich. Zwinkerte mir zu. Fragte nicht. Als wäre ich kein Fremder.
Er hieß Luca Rotolo. Er war ein Dieb und ein Einbrecher, ein Hochstapler, Heiratsschwindler, Handtaschenzieher und Betrüger, er hatte mit Drogen gehandelt und Mädchen zur Prostitution »überredet« und war, obwohl erst Ende zwanzig, neunmal vorbestraft. Wie lange er insgesamt sitzen musste, weiß ich nicht. Er machte ein Geheimnis um sich und redete doch mehr von sich als jeder andere. Später bekam ich gesteckt, dass er auch wegen Totschlags verurteilt worden war. Er habe zugesehen, seelenruhig, wie ein Junkie, der seine Schulden bei ihm nicht bezahlen wollte, an einer Überdosis von demselben Morphium starb, das er ihm in der aufgezogenen Spritze in die Hand gegeben hatte. Er sprach reines Hochdeutsch, mindestens drei Schweizer Dialekte, perfekt Italienisch; Französisch nicht besonders, wie er sagte, aber immerhin sei es ihm bisher ohne Mühe gelungen, jede Pariserin zwischen vierzehn und sechzig aufzureißen. Er spreizte die Hände ab, vollführte einen kleinen Tanzschritt und schnalzte mit der Zunge – wie ein Animateur in einer zwielichtigen Bar. Er arbeitete in der Wäscherei; was für unsere Zelle günstig war, weil wir über ihn öfter, als das Reglement vorsah, zu frischer Wäsche kamen. Sein Wunsch allerdings war es, in die Kfz-Werkstatt überstellt zu werden. Aber das wünschten sich die meisten.
Als letzte kamen der Zellenvater und der Adlatus. Sie wurden von zwei Wachbeamten begleitet. Dem Adlatus nickten sie nur zu, vom Zellenvater verabschiedeten sie sich förmlich, boten ihm einen guten Abend und eine gute Nacht und nannten ihn »Vater«.
Der Adlatus war einen Kopf größer als Jimenez, etwa in dessen Alter und ebenso mit Muskeln beladen, aber nicht wohlgeformten, sondern unebenen, falsch trainierten. Sein Gang war gebeugt und vorlastig, das Gesicht schmal, fleckig und schwarz gepfeffert. Er hatte lange Komikerzähne, an den Rändern angefault, und roch danach. Er grüßte nicht, sah niemanden an und setzte sich an den Tisch. Ich trat zu ihm, sagte, ich wolle mich vorstellen, mein Name sei Andres Philip, ich sei österreichischer Staatsbürger und aus Liechtenstein hierher überstellt worden. Er blickte mich kurz an und nuschelte etwas. Seine Stimme war hoch und dünn und sein Dialekt ausgeprägt, seine Sprechweise verschliffen, so dass ich nicht einmal hätte sagen können, ob es etwas Freundliches oder etwas Unfreundliches war; es war für mich kaum als eine Sprache zu erkennen. Meine Hand streifte er nur an.
Der Italiano boxte ihn in den Arm und sagte: »Bruchsch choa Angscht ha, s isch bloss äs Rehli.« Er lachte und winkte mich zu sich, nahm meine Hand und legte sie dem Adlatus auf den Kopf und strich mit ihr über das fettige Haar. »Ai, ai, äs Rehli. Ai. Ai! Und är do, är isch äs Bärli.« Und lachte bis ins Falsett hinauf. Der Adlatus zog den Kopf weg und boxte ihn nun ebenfalls und grinste und wurde rot im Gesicht.
Sein Name war Niculin Beeli. Er war ein Dutzend Mal vorbestraft wegen Drohung und Nötigung nach Art. 181 StGB und sexueller Nötigung nach Art. 189 StGB, mehrfach wegen schwerer Körperverletzung, Widerstands gegen die Staatsgewalt, Haus- und Landfriedensbruchs. Vor seiner jetzigen Gefängnisstrafe hatte er sechs Jahre in verschiedenen Gefängnissen zugebracht, in Deutschland drei Jahre, ein Jahr in Nordafrika, zwei Jahre in der Schweiz in einem anderen Kanton. Auch in einem Irrenhaus war er gewesen, in Frankreich ein halbes Jahr, dort war er ausgebrochen.
Der Italiano setzte sich zu ihm und ließ sich von ihm Tabak und Papier geben. Er drehte Zigaretten, wie von einer Maschine gerollt, und reihte sie vor ihm auf, knuffte ihn immer wieder in die Seite, keckerte sein Lachen und sprach übermäßig laut mit ihm wie mit einem Schwerhörigen in dem mir unverständlichen Dialekt, als äffte er ihn nach. Der Adlatus grinste weiter. Ich fühlte, dass er mich beobachtete.
Der Mann sei in einem Bergdorf in Graubünden aufgewachsen, erzählte mir später der Direktor. Er selbst sei von seiner Herkunft mit ihm vergleichbar. Auch deshalb und natürlich, weil er wie wir anderen im Sechserhaus nicht verheiratet sei und auch sonst keinen Anhang habe, habe er ihn für diese Gemeinschaft ausgewählt. Auch so einer müsse eine Heimat haben, erst recht so einer. Seine Muttersprache sei Rätoromanisch, im Hochdeutschen habe er eine stolpernde Zunge. Er könne sogar lieb sein. Aber auch
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