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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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anfassen, mich am besten mitten in den Raum stellen und warten. Ich solle am Anfang mit den anderen »Meiggeli« (Mädchen – so nannten die Wärter die Insassen, wie ich lernen würde) nicht viel reden, aber auch nicht nichts reden. Ich solle nicht den Starken markieren und auf keinen Fall den Schwachen. Ein neues Meiggeli mache alles falsch und müsse in den ersten Tagen und Wochen viel büßen. Wie wir die Betten untereinander aufteilten, interessiere ihn nicht, da mische er sich nicht ein. Ich meinte, plötzlich Unbehagen in seiner Stimme zu spüren, ein Schaudern, als wäre er hier der Neue und nicht ich; ich konnte mich aber auch irren, nur mit Mühe verstand ich sein Schwizerdütsch, und gar nicht deuten konnte ich die Melodieführung dieser Sprache, was die Entschlüsselung von Gefühlsregungen sehr erschwerte. Der Zellenvater sei »streng, aber gerecht«, informierte er mich weiter, schaute mich dabei aus zusammengezwickten Augen von unten herauf an; der Zellenvater genieße das »Große Image«, bei den Gefangenen ebenso wie beim Herrn Direktor. Ich fragte, wer der Zellenvater und was das »Große Image« seien. Er wischte es weg und zog eine Grimasse. Ich solle abwarten, wie er mir erlaube, ihn zu nennen, davon hänge einiges für mich ab. Er sei schon neugierig. Er rate mir, mich mit dem Zellenvater »einvernehmlich« zu stellen. Ihn zum Feind zu haben, könne »meine Gesundheit wesentlich beeinträchtigen«.
    Er ließ mich allein und schloss hinter sich ab. Ich hörte ihn draußen pfeifen. Innen waren weder Schnalle noch Schloss, wie ein Gesicht ohne Augen und Mund war die Tür.
    Ich hatte bei mir: Bettüberzug, Ersatzkleidung und Filzpatschen und einen Stoffbeutel mit aufgedrucktem Namen der Anstalt und aufgedruckter Nummer (970), in dem waren mein Schreibheft und zwei Bleistifte. Und das Transistorradio. Die Wärter in Liechtenstein hatten vergessen, es zurückzufordern, oder hatten es mir stillschweigend geschenkt. Nur: ohne Batterien. Eigentlich müsste es zur »Habe« gehen, hatte der Wärter gesagt, als er mir die persönlichen Sachen aushändigte, die erlaubt waren, aber ohne Batterien sei es eh wie nichts; ich solle es dem Zellenvater als Geschenk anbieten; falls er es ablehne, werde es eingezogen und mir bei meiner Entlassung zurückgegeben.
    Halbblöd vor Hunger war ich. Und voller Erwartungen. Auch freudige Erwartungen waren darunter. Soll mir einer sagen, dass er sich auf ein neues Leben nicht auch freut, gleich wie dieses Leben aussehen wird! – Es war der 24. März 1967.
     
    In dem Raum befanden sich drei Zweistockbetten aus Metall, ein Tisch, fünf Stühle, eine Toilette hinter einem geblümten Vorhang, ein Waschbecken und drei Blechschränke mit je zwei schmalen Spindtüren. Es roch nach Ammoniak, muffiger Wäsche, Abwaschwasser und Rasierwasser. An den Wänden entlang zog sich ein Regal, auf dem standen in akkurater Ordnung: Gläser, Büchsen, Fläschchen, Kästchen, Körbchen mit Kugelschreibern, Brillenetui, Kamm und Zahnbürste, Schalen mit Pomade, Rasierseife und Rasierwasser, Micky-Maus-Hefte. In einer Ecke lagen eine kurze Hantel und ein Stapel dazugehöriger Eisenscheiben. An einem Nagel hing ein Expander. Über die Matratzen waren Leintücher gespannt, die Wolldecken scharfkantig zusammengelegt, die Kopfkissen aufgeschüttelt und in der Mitte eingedrückt, so dass zwei Zipfel in die Höhe standen. (Ich würde lernen: Kopfkissen waren nicht erlaubt, Zierkissen schon; mit einem sanften Handkantenschlag verwandelte sich ein Kopfkissen in ein Zierkissen.) Das Fenster, nicht größer als der Oberkörper eines starken Mannes und von außen mit Eisenstangen längsgestreift, war hoch oben unter der Decke. Nichts weiter war darin zu sehen als ein rechteckiger dreigeteilter Ausschnitt des wolkenlosen Himmels eines späten Nachmittags im Schweizer Frühling.
    Ich zog die Schuhe aus, schlüpfte in die Patschen und stellte mich mitten in den Raum. Niemand sollte behaupten, ich sei in seine Sphäre eingedrungen; wobei dies zu vermeiden bei der Enge der Zelle nicht einfach war, denn hätte ich auch nur den Arm ausgestreckt, wären meine Finger bereits in die Hoheit eines der Betten eingedrungen. Ich wollte mich bemühen, das Problem mit den fünf Stühlen klein zu halten.
    Ich stand, das Gesicht der Tür zugewandt, stand einen halben Schritt hinter der Deckenlampe, damit ich, falls es Abend wäre, wenn meine zukünftigen Genossen kämen, von ihr ausgeleuchtet würde und nichts Heimliches,

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