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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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der Wäscherei trommelte –, wachte ich in der Nacht auf, und ich dachte, ich hätte im Schlaf geschrien. Ich konnte mich aber an keinen Traum erinnern, und es war auch keine Aufregung in mir oder ein drückendes Gefühl, wie man es nach einem Albtraum verspürt. Ich löste das Wachs aus den Ohren und zog die Binde von den Augen und sah im Schein des Fensters eine Gestalt an der Wand stehen. Zuerst meinte ich, es sei nur ein Schatten, wie ein halbes verzogenes Rad; dass irgendetwas vors Fenster gefallen war und seinen Schatten zu uns hereinwarf. Plötzlich aber streckte sich der dunkle Fleck an der Wand, und da sah ich, es war der Italiano. Er stieg auf den Tisch, und ich dachte, er kann nicht schlafen und möchte eine Zigarette rauchen, was ich selber schon oft getan hatte. Er war nackt. Das war ungewöhnlich. Ganz nackt zogen wir uns eigentlich nie aus, der Zellenvater duldete das nicht. Quique Jiménez sagte einmal im Spaß, er verbiete es deshalb, weil er selber einen Kleinen habe; da hatte ihm der Adlatus eine Seite blau geschlagen. Das war vor meiner Zeit gewesen. In der Hand, das konnte ich erst jetzt erkennen, hielt der Italiano sein Kissen, er hatte an die Ränder Spitzen und Bögen gehäkelt. Er wand es unten um den Fensterflügel und schlug mit der Faust dagegen. Ich hörte, wie das Glas brach, gedämpft durch das Kissen hörte ich es, gerade, dass es den Regen ein wenig übertönte. Ich konnte mir aber nicht erklären, warum er das tat. Immer wieder war darüber geredet worden, wie man aus dem sichersten Gefängnis der Schweiz ausbrechen könnte. Was für ein Trick sollte das sein, nackt die Fensterscheibe einzuschlagen? Ich rückte vorsichtig näher an den Rand der Matratze, um besser beobachten zu können. Über mir bewegte sich der Adlatus in seinem Bett. Ich dachte, er wird von dem Schlag aufgewacht sein, was jedoch ziemlich unwahrscheinlich war, wenn er das Wachs in den Ohren hatte. Oder er war schon wach gewesen. Jetzt setzte er sich auf, jetzt drehte er sich. Ich sah seine nackten Unterschenkel über den Bettrand hängen. Der Italiano hielt mit einer Ecke seines Kissens eine Scherbe von dem Fensterglas in der Hand, sie war lang und glitzerte im Licht eines der Scheinwerfer, die in der Nacht auf das Gebäude gerichtet waren. Er flüsterte zum Bett des Adlatus hinauf, und von oben kam Geflüster zurück. Ich verstand nicht, was sie sagten, der Regen war zu laut. Der Italiano stieg vom Tisch herunter und drückte sich in die Ecke, er hob einen Arm und fuhr sich in einer schnellen Bewegung mit der Glasscherbe über das Handgelenk. Er ließ die Scherbe und das Kissen fallen, das Glas zersplitterte am Boden. Ich hörte ihn schluchzen, er rutschte mit dem Rücken an der Wand nach unten und rollte sich ein. Das Schluchzen war nicht viel anders als der Regen, es würde einem, der gerade aufwachte, nicht auffallen. Der Adlatus sprang vom Bett herunter und hob den Italiano auf, und die beiden rangen miteinander. Erst dachte ich, der Adlatus hat wie ich alles beobachtet und wollte dem Italiano helfen. Auch der Adlatus war nackt. Seine Hinterbacken glänzten und waren wie zwei lange glatte Köpfe. Er hielt dem Italiano den Mund zu und klemmte ihn zwischen seine Beine und Ellbogen in die Ecke, sein Körper war wie ein Sperrgitter. Nun dachte ich nicht mehr, dass er ihm helfen wollte. Im Prasseln des Regens war kein Geräusch zu hören. Und jetzt sah ich das Blut. Der Italiano riss sich los und streckte den Arm hoch in die Luft, der Arm sah schwarz aus. Ich erschrak darüber so sehr, dass ich unvorsichtig wurde und mich aufrichtete, und das bekam der Adlatus mit. Er ließ den Italiano los, fuhr herum, beugte sich nieder, packte mich am Hals und an der Schulter und zerrte mich aus dem Bett. In der gleichen Bewegung hob er eine Scherbe und das Kissen vom Boden auf, presste mich an den Körper des Italiano und uns beide gegen die Wand und würgte mich. Er hielt die Scherbe mit dem Kissen fest, damit er sich nicht verletzte, drückte sie gegen meine Halsschlagader und flüsterte zum Italiano, wenn er nicht auf der Stelle die Wunde an seinem Arm abbinde, werde er mich, das schwöre er, umbringen, egal, was mit ihm geschehe. Wenn er abtreten wolle, bitte, aber dann gemeinsam mit mir. Mit was denn abbinden, jammerte der Italiano. Mit seinem Socken, zischte der Adlatus, mit dem Socken zum Beispiel. Der Italiano war zwischen mir und der Wand eingeklemmt, er wand sich unten heraus, zitterte sehr an den Armen und atmete

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