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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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hörte die Stimmen der Gehülfen draußen auf dem Platz, ihr Hämmern und Schleifen, das Aufheulen der Maschinen und Motoren. Die Tore standen offen, ich sah ihre Hinterköpfe und ihre nackten braunen Rücken. Manchmal rief einer nach mir, ob ich ihm neue Zylinderlaufbuchsen bringe, oder ein anderer bat mich, mich ins Auto zu setzen und Gas zu geben, damit er die Drehzahl des Motors einstellen könne. Sie erdichteten Aufträge für mich, um mir eine Gelegenheit zu geben, auf den kühleren Vorplatz zu treten und etwas frische Luft zu schöpfen und mich unter ihren Regen zu stellen.
    Die Kfz-Werkstatt war mit der Arbeit, die im Gefängnis anfiel, bei weitem nicht ausgelastet; neunzig Prozent der Kundschaft kam aus den umliegenden Gemeinden. Wir waren zwar nicht billiger als die freien Werkstätten, aber merkwürdigerweise hielt man uns für seriöser. Wir wurden mit Problemfällen konfrontiert, vor denen die draußen kapituliert hatten. Nicht selten kamen Gesellen von Betrieben der Umgebung, um sich bei uns nach Ersatzteilen umzusehen. Das hatten wir nicht gern, das brachte Unruhe. Wir mussten die Werkstatt verlassen, damit kein Kontakt zwischen uns und den Freien zustande kam. Wir standen draußen auf dem Vorplatz vor der verschlossenen Tür, während die Kunden im Beisein eines Wärters unser Lager durchstöberten, als hätten sie, nur weil sie frei waren, jedes Recht darauf. Der Preis für das jeweilige Ersatzteil wurde von den Wärtern ausgehandelt, die keine Ahnung hatten und eigentlich nur danach bemaßen, ob ein Ding sauber war und glänzte oder nicht. Aber es waren auch schöne Viertelstunden, weil wir gemeinsam fluchten. Oft fanden wir Zigarettenpackungen, wenn die freien Kollegen gegangen waren.
    Nach einem halben Jahr übertrug mir der Zellenvater die Verantwortung für unser Lager. Ich reinigte und hämmerte alte Zündkerzen zurecht, kratzte Ablagerungen von den Elektroden der Verteilerköpfe, prüfte und korrigierte bei Bedarf die Kontaktabstände an den Unterbrechern, ölte und schmierte, schmirgelte und zog nach, lötete Armaturenlämpchen und fräste neue Gewinde, entrostete und sorgte mit Graphitstaub dafür, dass sich Schrauben wieder »wie Butter« drehten. Mir wurde die Wartung der gebrauchten Ersatzteile für die Motoren übertragen. Das hieß, die Gehülfen – auch der Adlatus – hatten alle Teile, die sie ausbauten, bei mir abzuliefern und mussten, bevor sie neue Teile anforderten, erst mich fragen, ob ich reparierte alte Teile des verlangten Typs, also Altneue, auf Lager hätte. Ich führte über jeden Gegenstand Buch.
     
    Weil ich mich nie beschwerte und auch bei Temperaturen von vierzig Grad in der Werkstatt arbeitete und dabei immer bestens gelaunt war, beantragte der Zellenvater beim Direktor, dass ich mich zweimal in der Woche am Abend nach dem Essen eine halbe Stunde lang im Osthof aufhalten dürfe. »Sonst geht uns über den Sommer unser bester Mann ein«, argumentierte er. Er hätte es nötiger gehabt als ich.
    Der Antrag wurde genehmigt. In dieser halben Stunde war ich allein.
    Ich setzte mich mit dem Rücken an die Mauer des Fünfertraktes, der Hof lag im Schatten, ich steckte das Wachs in die Ohren und sah in den Himmel hinauf. Am Abend war es oft gewittrig, manchmal regnete es, manchmal gingen in dieser kleinen halben Stunde zwei Wolkenbrüche nieder mit blauestem Himmel dazwischen. Um bei Regen ins Haus zurückzudürfen, hätte erneut ein Antrag gestellt werden müssen, was riskant war, denn es hätte sich hier um die Ausnahme einer Ausnahme gehandelt. Mich störte der Regen nicht. Im Gegenteil. Und wenn meine Sachen bis zur Nachtruhe nicht trocken waren, legte ich sie unters Leintuch und schlief darauf, wie es mir Opa gezeigt hatte. Der Himmel hatte Sensationen zu bieten. Es kam vor, dass die östliche Hälfte in schwarzem Qualm stand, während im Westen fleckenloses Gold war. Und es kam vor, dass sich die Sphären tauschten, so dass am Ende der halben Stunde der Westen schwarz und der Osten strahlend war. Wenn Blitze über das Firmament hasteten, hörte ich den Donner gedämpft durch das Wachs in meinen Ohren. Und wenn es still war, war es sehr still.
    Keiner aus dem Sechserhaus hatte je Besuch bekommen. Wir seien die Einsamsten der Einsamen, sagte der Direktor. Keiner hatte eine Frau. Quique Jiménez war als einziger verheiratet gewesen; nach seiner Tat wollte seine Frau nicht mehr mit ihm sein und hat sich scheiden lassen. Es wurde viel über Frauen geredet. Besonders an den

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