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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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hastig, und ich meinte, er werde gleich ohnmächtig niedersinken und liegen bleiben und verbluten. Die Spitze der Scherbe hatte meine Haut am Hals verletzt, ich merkte, dass ich auch blutete, aber wie stark, wusste ich nicht. Der Italiano schluchzte weiter und redete leise vor sich hin mit klappernden Zähnen, italienisch, wie ich meinte. Er tat, was ihm der Adlatus befohlen hatte. Er zog sich einen Socken aus seinen Kleidern, die über seiner Bettkante hingen, und band ihn um seinen Oberarm, wobei er auch die Zähne zu Hilfe nahm. Der Boden war voll Blut, und mein Hemd war voll Blut. Er solle sich waschen, flüsterte der Adlatus, und der Italiano wusch sich beim Wasserhahn das Blut ab, vom Arm und von seiner Brust und seinem Bauch. Der Adlatus schlug mir mit der Faust auf den Kopf, nicht fest, und ließ mich los. Er schlitzte mit der Scherbe ein Stück vom Leintuch meines Bettes ab und verband dem Italiano die Wunde. Er hieß uns, die Scherben und das Blut vom Boden aufzuwischen. Ich solle sagen, in der Nacht habe der Wind eine Scheibe zerschlagen und der Italiano und ich hätten die Scherben wegwischen wollen, damit niemand hineintrete, und dabei habe sich der Italiano verletzt, befahl der Adlatus. Ob ich ihn verstanden hätte. »Ja«, sagte ich und fragte: »Und die Wunde an meinem Hals? Was soll ich sagen, woher die kommt?« Ich solle den Hemdkragen zuknöpfen, flüsterte er. Und dass alles halb so schlimm sei. Er wusch sich ebenfalls am Brunnen, stieg in seine Unterhose, zog sich das Hemd über und kletterte in sein Bett zurück.
    Während wir den Boden wischten, flüsterte ich ins Ohr vom Italiano: »Was ist denn passiert?«
    »Das sag ich dir nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Du bist der Nächste, dann weißt du es von selber.«
    »Bei was bin ich der Nächste?«
    »Dann weißt du es von selber.«
    »Woher weißt du, dass ich der Nächste bin?«
    »Dann weißt du es von selber.«
    »Was weiß ich dann selber?«
    Aber er sagte nur wieder, dass ich es dann von selber wüsste. Es hatte keinen Sinn weiterzufragen. Die meiste Arbeit ließ er mir, er konnte einfach nicht, er setzte sich auf einen Stuhl und zitterte und klapperte mit den Zähnen und fluchte. Dass er fluchte, beruhigte mich ein wenig.
    Meine Unterhose war nass, weil ich mich vor Schrecken angemacht hatte – was ein Problem war, denn es war meine zweite Unterhose, die erste hatte ich in die Wäsche gegeben –, und mir fiel auf, dass meine Stimme anders klang als sonst, soweit man bei Flüstern so eine Aussage überhaupt treffen kann; ich meine eher, meine Stimme hat geklungen, wie wenn jemand in mir flüsterte, ich selber aber stumm wäre. Der ganze Mensch in meiner Haut fühlte sich anders an als sonst, weniger vertraut als der Anstaltsschlafanzug darum herum; dieser Mensch war mutig und bewegte sich mutig, wie er den Boden wischte und dabei Obacht gab, nicht in eine Scherbe zu treten, den Mund verzog er zu einem Feixen, das für niemanden gedacht war, denn niemand konnte es in der Dunkelheit sehen, aber ich konnte es spüren, und es war einfach nicht wegzukriegen, als wäre ich ein Kumpan dessen, der mich gequält hatte. Meine Stimme, sogar im Flüstern, war der Stimme des Adlatus ähnlich, die ruckartige Sprechweise. Der Italiano war wenigstens er selber geblieben. Wobei mir das Zittern und Zähneklappern auf die Dauer etwas übertrieben vorkamen.
    Alles war so leise vor sich gegangen, dass die anderen nicht aufgewacht waren. Es sah jedenfalls aus, als schliefen sie. Ich wusste, wie der Zellenvater und Quique Jiménez und Dissi im Schlaf aussahen, und so sahen sie aus. Der Adlatus und der Italiano meinten auch, keiner von ihnen habe etwas mitgekriegt. Wir sollen uns ins Bett legen und ebenfalls schlafen, gab der Adlatus Anweisung. Morgen werde alles halb so schlimm aussehen. Und das Maul halten. Das Maul halten. Das Maul halten. Gute Nacht.
    Der Zellenvater und Quique Jiménez lagen wie immer auf dem Rücken und schnarchten die Zellendecke an. Dissi krümmte sich an der Wand, die Knie fast am Kinn. Er hatte sich nach meinem Vorbild eine Augenbinde genäht und sich eine Mütze über den Kopf gezogen, sogar zwei.
    Aber sie schliefen nicht. Keiner von ihnen schlief. Auch der Zellenvater schlief nicht. Und es war nicht die erste Nacht, in der sie wach lagen, der Zellenvater, Quique Jiménez und Dissi. Der Ahnungslose war allein ich gewesen. Keine Ohren verschlossen die kleinen wächsernen Friedensstifter besser als meine.
     

7
     
    Am nächsten Tag beim

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