Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
erhöhte die Gewinnspanne wesentlich. Er zog bei sich zu Hause eine Zwischenwand ein, bestückte den Raum mit Wachstumslampen und Erdtöpfen und züchtete, wie er sagte, einen hohen THC-Gehalt in die Pflanzen ein, weswegen – das solle ich der Kundschaft zu bedenken geben – es besser sei, beim Fachmann zu kaufen, als selber anzubauen. Ich verstand nichts davon. Ich rauchte auch nichts mehr.
Insgesamt betreute ich achtzehn fixe Kunden und ein Dutzend wechselnde über die Stadt verstreut, vom Spittelberg zum Karlsplatz, vom Donaukanal zum Praterstern. Es waren sichere und ruhige Kunden, zuverlässige, keine verrückten Nadler, die mich heute überfielen und sich morgen wunderten, dass ich ihnen kein Dope mehr verkaufte. Die meisten hatte ich von meinem Vorgänger, einem ewigen Psychologiestudenten, geerbt, der für Cookie gelaufen war, weil er sich eine Elektrogitarre kaufen wollte und einen Verstärker und eine größere Box und ein besonders gutes Mikrophon und so weiter. Er lud mich zu sich ein, das Zimmer war voll mit E-Gitarren, Kabeln, Lautsprechern und Schlagzeugteilen. Er wohnte nicht weit von mir, in der Nacht hätten wir uns von Fenster zu Fenster brüllend unterhalten können. Diese Vorstellung fand er sehr komisch. Oftmals beendeten wir unsere Tour mit einem Whisky, er spielte mir auf einer der Gitarren vor. Ich sagte, das habe keinen Wert, ich verstünde nichts von Musik.
»Aber du magst Musik.«
»Nein.«
»Gar keine Musik?«
»Nein.«
»Wirklich gar keine Musik?«
Irgendwann hatte er genug von der Dealerei und wollte aussteigen, aus »Gewissensgründen«. Er habe als Zwanzigjähriger große Pläne für sein Leben entworfen, nun sei er achtundzwanzig und nichts davon habe er verwirklicht, er sei eine verachtenswerte Kreatur, die nur Leid über die Menschen bringe, eine verkrachte Existenz, ein Versager, die Songs von Bob Marley hätten ihm das klargemacht. Er hatte einen Ausschlag im Gesicht, der unter den Straßenlaternen aufblühte, als würden die Pusteln von innen beleuchtet, und weinte und schniefte vor sich hin. Er verabschiedete sich von seinen Kunden mit Kuss und Handschlag und pries mich als einen gütigen Menschen, der nicht nur am Profit interessiert sei, sondern am Wohlergehen seiner Kunden, mit mir könne man auch über andere Dinge reden. Ich wusste nicht, was er damit meinte. Vor Sonnenaufgang übergab er mir alles Gift, das er bei sich hatte – außer einem Briefchen Kokain, ein paar Löschblättern mit Acid und einer halben Handvoll Valium. Er wollte kein Geld von mir. Ich setzte mich auf eine Bank am Donaukanal und schaute in den Himmel, wo die Venus aufging und noch eine kleine Weile hatte, ehe ihr die Sonne den Glanz nahm.
Von politischen Aktivitäten meiner Kunden – wie Cookie angedeutet hatte – merkte ich nicht viel. Sie waren zwar alle gegen den Vietnamkrieg und gegen Gerald Ford; sie hörten Jimi Hendrix’ The Star-Spangled Banner , wenn sie sich mein Marihuana reinzogen, und Brown Sugar von den Rolling Stones, wenn sie sich mein Heroin spritzten, aber dass sie in irgendwelchen linken Organisationen »klandestin« tätig waren, weswegen sie eine gewisse Aufmöbelung nötig hätten, davon habe ich nichts mitgekriegt, und ich bin sicher, sie hätten mir davon erzählt, die meisten von ihnen waren Plaudertaschen, die nicht aufhören konnten, sich selbst und jedem anderen ihre Existenz redend zu bestätigen. Ich schlug das Wort in einer Buchhandlung im Duden nach – es bedeutet: unbeobachtet, im Verborgenen, geheim. Ja, sie wollten nicht beobachtet werden, wenn ich ihnen das Brieflein zusteckte und sie mir das Geld, sie setzten sich die Pumpe im Verborgenen, und sie hielten es vor ihren Familien geheim, dass sie einen Großteil des Geldes, das ihnen monatlich überwiesen wurde, in Rauschgift investierten.
Politisch war nur einer von meinen Kunden. Und er nicht besonders. Das heißt, er war der Freund einer Politischen. Später erfuhr ich mehr.
Er war Italiener. Ich traf ihn regelmäßig in einem Café am Spittelberg, das bis zwei Uhr nachts offen hatte. Irgendwann rückte er heraus: Er brauche etwas Gutes. »Ho bisogno di qualcosa di buono.« Er konnte nur wenig Deutsch. Ich nützte jede Gelegenheit, mit ihm Italienisch zu sprechen: »Ho tante cose buone. Ich habe eine Menge guter Dinge.« Das war eine Freude für mich. Seit meiner Schweizer Zeit hatte ich meine Lieblingssprache nur im Radio gehört und den Moderatoren und Moderatorinnen der RAI nachgesprochen.
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