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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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gemeinsam in Hemmas Wohnung. Lore sagte hinterher, dies seien die schönsten Stunden ihres Lebens gewesen, wir seien für sie Mama, Papa, Bruder, Schwester, Ehemann, Geliebte und Geliebter, Freundin und Freund gewesen. Sie war rundlich und sah wie ein Bauernmädchen aus. Bei der kleinsten Aufregung bekam sie rote Backen, klar abgegrenzte Flecken mit weißer Haut rundherum, als hätte sie sich das Gesicht erfroren. Sie war heroinabhängig. Während dieser knappen Woche in Hemmas Wohnung lebte sie von den fünf Gramm, die sie von ihrem Bruder bekommen hatte. Sie spritzte sich in die Armbeuge und in die Venen unterhalb des Handgelenks und band sich dabei den Arm mit dem Frotteegürtel von Hemmas Morgenmantel ab. Sie besaß nur eine Spritze, eine »altmodische« aus Glas mit mehreren Nadeln zum Aufschrauben, die sie zusammen mit einem Feuerzeug, einem Löffel, einem Röhrchen Vitamin C und einem Päckchen Zigarettenfilter in einem hübschen Holzkistchen verwahrte. Rudi kochte das Besteck nach jedem Gebrauch aus. Die Nadelspitzen waren schon stumpf und hatten zum Teil Widerhaken. Die habe sie am liebsten, sagte sie. Rudi reinigte die Einstichstellen an ihrer Haut mit Alkohol, stäubte Cibazol-Puder darauf und klebte Heftpflaster darüber oder legte ihr einen Verband an. Sie sagte, das sei nicht nötig, sie sei jung und gesund und habe gute Abwehrkräfte, außerdem wirke H entzündungshemmend. Die meiste Zeit waren Rudi und sie allein in Hemmas Arbeitszimmer, während Hemma und ich uns im Schlafzimmer aufhielten und uns an Scrabble abmühten – auf Englisch. Hemma hatte das Spiel aus London mitgebracht; mit je einem Langenscheidt in der Hand kamen wir lustig über die Runden, und es hatte zudem einen Wert, jedenfalls für mich, denn seit meinen Einstiegskursen bei Staff Sergeant Winship hatte ich, außer in der Schule (und dort hatten wir hauptsächlich Shakespeare und Oscar Wilde in deutscher Sprache gelesen), kaum Gelegenheit gehabt, mich mit der englischen Sprache zu befassen – was ich als ein großes Manko empfand, denn Englischkenntnisse waren eine Notwendigkeit, wollte man in die Welt hinaus, und das wollte ich irgendwann.
    Wir kochten gemeinsam und legten uns nach dem Mittagessen und nach dem Abendessen zusammen in Hemmas Doppelbett. Es war schön zu viert, aber auch anstrengend, und der Gerechtigkeitsgedanke beeinträchtigte die Freude. Die Nächte verbrachten Hemma und ich in ihrem Bett, und Rudi und Lore schliefen in der Küche, getrennt, jeder auf einem Sofa. Rudi sagte, im Schaf sei er Individualist, Eremit und Anarchist. Manchmal kam Lore in der Dunkelheit angetorkelt und legte sich zwischen Hemma und mich. Gegen zwei Frauen mit einem Mann hatte Hemma nichts einzuwenden. Wenn man es im Halbschlaf treibt, lernte ich, gehen ohnehin andere Dinge in einem vor.
    Hemma hätte das Heroin gern ausprobiert. Lore bot ihr an, sie zu fixen. Rudi zog Hemma nach draußen, an der Garderobe nahm er ihren Mantel vom Haken, ohne ihren Arm loszulassen, sie warf mir einen flehentlichen Blick zu, aber ich schaute durch sie hindurch.
    Als Lore und ich allein waren, bot sie mir einen Schuss an. Sie klopfte etwas von dem Pulver auf den Löffel, tat Ascorbinsäure dazu und träufelte Wasser darauf. Sie hielt die Feuerzeugflamme darunter, bis die Flüssigkeit aufkochte, und zog das Gemisch durch einen Zigarettenfilter in die Spritze. Ich erinnerte mich an den Italiano, der immer damit angegeben hatte, er handle nur mit dem Stoff, hüte sich aber davor, selber davon zu probieren. Aber er hatte eben doch probiert. Zuerst durch die Nase, dann über die Spritze. Er war dabei glücklich gewesen. Er sagte hinterher, er sei durchs Paradies gewandert. Ich glaubte ihm. Er roch sogar glücklich. Im Rausch hatte er wie ein hässlicher Idiot ausgesehen. Lore sah nicht hässlich aus, wenn sie sich gespritzt hatte, sie sah aus wie eine Schlafwandlerin und dabei sehr drollig, auch wenn ihr der Rotz aus der Nase rann. Sie sah aus, als könnte sie nicht bis drei zählen. Ich hatte außer mit dem Italiano und Lore noch mit keinem Fixer zu tun gehabt. Es stand also fifty-fifty, hässlich oder drollig, dumm in beiden Fällen. Das war mir zu riskant. Ich konnte auf keinen Fall zulassen, wie ein hässlicher Idiot auszusehen. Und drollig?
    Nach dieser Woche hatten Rudi und ich genug voneinander. Das heißt, Rudi hatte genug von mir, denke ich. Das hat mir leid getan. Auch war nicht mehr die Rede davon, mich seinem Dealer vorzustellen. Und Hemma hielt zu

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