Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
sich an mich kuscheln, auf Sex hatte sie wenig Lust. Wenn sie sich fixte, ging sie aufs Klo. Sie wollte nicht, dass ich ihr dabei zusah. Mich hätte es nicht gestört. An den Tagen tat ich meinen Dienst im Heim, und ab und zu ließ ich mich auch im Institut für Welthandel sehen. Eines Morgens klingelte es an Lores Tür. Ich war gerade nach Hause gekommen und hatte Kaffee gekocht. Lore zog sich ihren Wintermantel über und öffnete. Ich hörte eine Männer- und eine Frauenstimme. Es waren Polizeibeamte. Ob sie hereinkommen dürften, fragten sie. Mehr habe ich nicht mitbekommen. Ich bin in Hemd und Hose, die Schuhbänder offen, durch das Fenster davon und in der Straßenbahn bis zum Ring gefahren, dort umgestiegen und weiter in den 9. Bezirk und ins Heim. Ich rechnete damit, dass Lore eine polizeiliche Fragestunde nicht durchstehen, dass sie das Spiel mit »Ja«, »Nein« und »Weiß nicht« nicht beherrschte und schon bald aussagen würde, dass sie heroinsüchtig sei und mit einem Dealer zusammenlebe – auch, weil sie sich wünschte, dass wir zusammenlebten, und es ihr schon guttun würde, es wenigstens auszusprechen. Ich hatte den Behörden nie geglaubt, dass sie mein vorhergehendes Leben aus den Akten löschen würden. Ich rollte den Pass und die anderen Papiere zusammen und steckte sie in ein Ersatzabflussrohr und klemmte das Rohr unter mein Waschbecken, so dass es aussah, als gehöre es dorthin. Zwei Tage traute ich mich nicht, das Heim zu verlassen. Aber Lore hat mich souverän aus ihrer Sache herausgehalten. Ich habe sie nicht mehr gesehen. Meine (Rudis) Jacke hat sie bei ihrem Bruder abgegeben.
»Sie kann dich verstehen, Joel«, sagte Cookie. »Sie hat mir alles gebeichtet. Meine Schwester beichtet mir alles, weißt du. Wir sind sehr eng, wir beide, weißt du. Ihr habt euch gestritten, sie war schuld, und du hast einen Schlussstrich gezogen. Ausgezeichnet. Sie kann dich verstehen. Mir ist es, ehrlich gesagt, auch lieber so. Ich finde es schon beschissen genug, dass sie an der Nadel hängt, da muss sie nicht auch noch mit einem Dealer zusammen sein.«
Zwei Jahre später erzählte mir Pfarrer Rudolf Jungwirth, Lore habe mir nicht zumuten wollen, zu einer heroinsüchtigen Frau zu stehen, die obendrein von der Polizei verdächtigt werde, Kontakt zu Terroristen zu haben. Anders als Hemma knüpfte Rudi den Entschluss, ein neues Leben zu beginnen, nicht an die Bedingung, seine anderen Beziehungen aufzugeben. Er hatte nichts gegen Illusionen und nichts gegen Seelenheroin, obwohl er kein Hopi-Medizinmann war, sondern ein katholischer Priester. Er besuchte Lore heimlich. Er hatte sie die ganze Zeit heimlich besucht. »Sie hat dich geliebt, Joel«, sagte er, »und sie liebt dich noch immer.«
»Aber ich liebe sie nicht«, sagte ich.
»Ihr seid alle gleich«, sagte er.
»Wen meinst du?«, fragte ich.
Cookie redete viel, philosophierte wie ein Rentner, hatte zu allem etwas zu sagen und wusste von fast gar nichts irgendetwas. Stofftanken bei ihm war eine Tortur. Seine Küche war dreckig. Ich wollte nichts angreifen. Ich wollte mich auf nichts setzen. Wenn ich ihn verließ, schleifte ich mit den Schuhsohlen über den Asphalt, damit nichts an mir haften blieb. Alles an ihm war gelb – sein Gesicht, seine Brille, seine Finger vom Nikotin, das Resopal auf seinem Küchentisch, die aufgerissenen Packerln mit den Spaghetti, seine Zähne.
Er zog sich aus dem Straßengeschäft zurück und überließ es ganz mir, die Drogen an den Verbraucher zu bringen. Er hatte ein neues Betätigungsfeld entdeckt, das lukrativer war, für ihn und in der Folge auch für mich. Er richtete sich in seiner Küche ein Labor ein, wo er das Kokain, das Heroin und das Morphium streckte. Auch dafür lieferte er eine Philosophie: Er wolle gegen Gier und Maßlosigkeit kämpfen. Er streckte mit allem, was weiß oder grau oder braun oder rosa war und nichts kostete und nicht unmittelbar zum Tode führte.
5
Als ausreichend reines Heroin galt laut Cookie, »wenn die Probe zu achtzig Prozent und weniger nicht aus Heroin besteht«. Das Gleiche sagte er über Kokain. Kokain war nicht besonders gefragt. Seine Zeit kam erst später. Musiker waren an einer Mischung interessiert, einem Morphkoks oder Speedball. So etwas war allerdings nicht billig. Gut gingen LSD und alle Arten von Speed, am besten die verschiedenen Cannabisprodukte. Marihuana brachte den meisten Profit, weil die größte Nachfrage bestand. Cookie baute das Gras selber an, und das
Weitere Kostenlose Bücher