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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Rudi. Ich sagte, mir würde es genügen, wenn wir uns nur an den Donnerstagen sähen. Ich schlug Heimlichkeit vor. Aber das wollte sie nicht. Eine Lüge sei immer eine Illusion, sagte sie und trat nahe an mich heran, ich sah an ihren Schläfen leise den Puls schlagen. Illusionen seien wie Heroin für die Seele, erst paradiesisch, zuletzt ruinös. Ich wollte sagen, das höre sich an wie von einem alten Hopi-Medizinmann, aber sie ließ mich nicht zu Wort kommen, küsste mich und steckte mir ihre Zunge tief in den Mund und bewegte sie darin lange im Kreis. Sie und Rudi hatten sich vorgenommen, ein neues Leben zu beginnen. Die Gerüchte aus Rom, dass der Papst die Priesterehe tatsächlich bald freigebe, hätten sich verdichtet, sie würden beide von vorne anfangen. Ob ich mir vorstellen könnte, Kinder zu haben. Darüber hätte ich nie nachgedacht, sagte ich.
    »Siehst du«, sagte sie.
    Sie wollte Rudi nicht betrügen.
    So ergab es sich, dass ich öfter mit Lore zusammen war.
     
    Und so ergab es sich, dass ich Lores Bruder kennen lernte – Cookie; wenn er einen richtigen Vornamen hatte, habe ich ihn nie gehört.
    Er war ein schmächtiger Nervenhobel mit einer gelbgetönten Brille. Er konnte nicht stillstehen, und sitzen konnte er schon gar nicht. Er hatte einen scharf ausrasierten Oberlippenbart, drehte sich seine Zigaretten mit einer kleinen Maschine und konsumierte Kokain durch die Nase. Koks mache nicht süchtig, sagte er, das sei erwiesen. Die Herrschenden würden Kokain verteufeln, weil ihnen die Völker der Dritten Welt nicht das Monopol darauf überließen wie bei Tabak und Kaffee und Bananen. Dabei kratzte er sich die Unterarme und schniefte durch die Nase und wusste nicht, was und wen er anschauen sollte.
    »An primitiven Nadlern, die dich heute überfallen und sich morgen wundern, dass du ihnen kein Dope mehr verkaufst, bin ich nicht interessiert. Ich sehe in der Droge ein wertneutrales Hilfsmittel, ähnlich wie ein Schweizermesser. Man kann damit so, und man kann damit so. Jeder Mensch muss sich hin und wieder etwas stärken, auch Tarzan und Einstein. Und nicht immer geht das allein mit Weißbrot und Honig. Sterben kann man an allem. Du kannst auch an Mehl sterben, wusstest du das nicht? Muss dir nur ein Hundertkilosack vom zweiten Stock auf die Marille fallen.«
    Er habe Beziehungen zu verschiedenen politisch aktiven Gruppen, prahlte er. Worin deren Aktivität bestand, wollte er mir nicht verraten – nur so viel: Sie operierten »klandestin«. Einiges tue sich. Die Genossen hätten eine gewisse Aufmöbelung nötig. »Sie warten auf das Gift. Sie brauchen es, Mensch!« Seit dem OPEC-Bullshit könne er sich dort aber nicht mehr blicken lassen. Er werde mit größter Wahrscheinlichkeit von der Polizei observiert. Jetzt säßen die Genossen auf dem Trockenen. »Der Mensch hat eine Verantwortung.«
    Ich bot ihm an, ihn zu vertreten. Halbe-halbe. Er war einverstanden. Mir vertraue er, sagte er. Wenn er über eine Gabe verfüge, dann über die Gabe der Menschenkenntnis.
    Und über die Gabe, alles Mögliche in kurzer Zeit zu beschaffen – Heroin, Kokain, Codein, Mescalin, Valium, Librium, Captagon, das brandneue Flunitrazepam, LSD, Psilocybin und die feinsten Zauberpilze, aber auch Barbiturate und selbstverständlich Haschisch, Marihuana – und Amphetamine aller Art.
    »Auch Pervitin?«, fragte ich.
    »Sowieso. Brauchst du das? Sag’s mir, Joel!«
    »Ich nicht«, sagte ich. »Aber Adolf Hitler und Benito Mussolini haben es genommen, und Hitler hat es sogar an die Soldaten der Wehrmacht verteilen lassen, damit sie keine Angst hatten und keinen Hunger und spielend zwei Tage und zwei Nächte wach bleiben konnten. Gleich nach dem Aufstehen hat ihm sein Leibarzt eine Injektion verpasst. Und die GIs in Vietnam waren ebenfalls auf Pervitin.«
    »Hervorragend«, rief er aus, »den Spruch merk dir!«
    So bin ich in dieses Geschäft eingestiegen. Ich habe nicht viel vom Frühling mitgekriegt, nicht viel vom Sommer, war nicht nachts auf den Kahlenberg gestiegen, um die Sterne zu beobachten, und habe am Morgen nicht die Raben und Spatzen gefüttert. Aber nicht schlecht verdient habe ich. Wenn ich nicht für meine Kundschaft unterwegs war, verbrachte ich die Nächte bei Lore in ihrem kleinen Zimmer Parterre hinaus auf die Burggasse, und wenn ich die Nacht über auf der Straße gewesen war, frühstückten wir miteinander. Sie bezog ihren Stoff direkt von ihrem Bruder. Ich solle nicht ihr Checker sein, sagte sie. Sie mochte

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