Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
»Da me riceverai il meglio. Von mir bekommst du das Beste.«
Er kaufte Haschisch und Gras und Valium und Captagon. Nichts von den harten Sachen. Heroin sei etwas für Idioten, sagte er, und Kokain etwas für Kapitalisten. Und für Musiker, sagte ich. Er sei weder das eine noch das andere, sagte er. Captagon war ein Amphetamin-Derivat und legal über Krankenschein erhältlich; die Ärzte verschrieben es nur ungern, ebenso wie Valium. Viel war damit nicht zu verdienen.
Bald trafen wir uns nicht nur nachts zur Übergabe und zum Bier, sondern auch am Tag zu einem Spaziergang durch den Prater mit Frisbeespielen auf der Wiese oder zum Schachspiel im Café oder zum Flippern oder zum Billard bei George in der Ungargasse. Er wäre für Moma ein Beweis gewesen, dass wir alle gleich aussahen. Er war etwa so groß wie ich, hatte dunkle Haare wie ich, ebenfalls lang bis auf die Brust, und einen dunklen Vollbart. Die Sommersprossen fehlten – jedenfalls an den Stellen, die sichtbar waren.
Mit ihm war gut spielen, er begriff, dass es nichts auf der Welt gab, das größere Ernsthaftigkeit erforderte als zu spielen. Normalerweise vermied ich es, mit meinen Kunden mehr als das Nötigste zu reden. Sie halten dich am Ärmel fest, und schon bist du mitten in ihrem Leben, wo du bestimmt nicht hinwolltest. Ihn mochte ich, er schüttete mich nicht mit Jammermüll zu. Wenn wir spielten, redeten wir nicht. Seine sanfte Gleichgültigkeit gefiel mir; wobei ich mit Gleichgültigkeit nicht Desinteresse meine, sondern das Gegenteil davon, nämlich die Gabe – ja, es ist ein Gabe, kein Bemühen kann es schaffen –, alles gleich gelten zu lassen, das heißt, auch sich selbst nicht über die Dinge zu erhöhen. Wer das kann, der kann spielen. Wir entdeckten in einem öffentlichen Innenhof im 4. Bezirk eine Tischtennisplatte aus Beton, besorgten uns Schläger, Bälle und ein Netz. Bei den Angaben schauten wir einander in die Augen, außer Zahlen fielen keine Worte. Hinterher drückten wir uns kurz aneinander und gingen jeder in eine andere Richtung davon, und am nächsten Tag, ohne dass wir uns verabredet hätten, trafen wir uns wieder.
Er hieß Riccardo Fantoni, studierte Ingenieurswissenschaften an der TU, stammte aus Turin, war, wie er sich ausdrückte, ein Sohn der Arbeiterklasse – »un figlio del proletariato« – und mit einem Auslandsstipendium der Pellicano-Werke ausgestattet. Der Stoff, so vertraute er mir an, sei nicht für ihn, sondern für seine Freundin. Sie befinde sich mitten in ihrer Abschlussarbeit, sie studiere Politologie und brauche das Captagon für den Endspurt und das Gras und das Valium, um nach ihrem Sechzehnstundentag auf Speed schlafen zu können. Sie wolle so schnell wie möglich mit ihrem Studium fertig werden, um sich der Praxis zu stellen. Mehr erzählte er nicht von ihr.
Ich sagte: »Captagon ist großartig, Riccardo, dagegen kann niemand etwas einzuwenden. Aber es ist nicht das Beste. Angenommen, sie braucht mit Captagon zwei Monate, bis sie mit ihrer Arbeit fertig ist. Kann das sein?«
»Ein halbes Jahr. Ein halbes Jahr ist realistisch.«
Wir saßen zwischen dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischen Museum auf dem Sockel vom Maria-Theresia-Denkmal; im Park wuchsen die gleichen, zu Kugeln zurechtgeschnittenen Büsche wie vor zwanzig Jahren, als Moma, Opa, Mama, Papa und ich hier lagerten, Wurstsemmeln aßen und Coca-Cola tranken und uns auf eine Nacht im Freien einrichteten und über die Möglichkeiten debattierten, sich in einem Gefängnis der ÁVH das Leben zu nehmen, ehe Herr Dr. Martin kam und uns aus unserer Lage befreite und zu sich nach Hause führte.
»Nein«, sagte Riccardo, »realistisch ist ein Jahr. Allegra muss sich ja auch noch auf die mündlichen Prüfungen vorbereiten. Ein Jahr ist realistisch.«
»Also gut«, sagte ich, »angenommen, Allegra braucht mit Captagon ein Jahr bis zu ihrem Abschluss, dann habe ich etwas, damit braucht sie nur ein halbes Jahr.«
»Und was ist das?«
»La miglior droga del mondo! Es ist das Gleiche, das Hitler und Mussolini genommen haben und die Soldaten der deutschen Wehrmacht und das auch die GIs in Vietnam genommen haben, damit sie spielend zwei Tage und zwei Nächte wach bleiben konnten. Es ist das Beste, was es gibt.«
»Hitler? Mussolini? Die Amerikaner? Sei un fascista?«
»Ich? Ob ich ein Faschist bin? Ich? Mein Name ist Joel Spazierer. Glaubst du, jemand mit so einem Namen ist ein Faschist?«
Er wusste nicht recht, was ich meinte, aber er
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