Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
gespielt, oder hat jemand mit dir gespielt?«, fragte sie.
Der Mann setzte sich mit halbem Hintern auf Momas Schreibtisch, steckte sich eine Zigarette in den Mund und sah mich an. Moma rauchte wie ein Schlot, der Aschenbecher auf ihrem Schreibtisch war voller Kippen. Ich aber beschloss, diesen Mann nicht rauchen zu lassen. Ich schüttelte den Kopf. Er schob die Zigarette in die Schachtel zurück, blieb aber sitzen. Er konnte mir nichts anhaben, weil er mir nichts anhaben wollte. Bei der Frau war ich mir nicht sicher. Ich spürte, dass ich die Kontrolle über das Gespräch verlieren würde, wenn ich ihrer Neugierde nicht bald Futter gab. Also antwortete ich wahrheitsgetreu: »Tiere haben mit mir gespielt.«
»Tiere?«
»Ja.«
»Sind Tiere zu dir gekommen?«
»Ja.«
»Wann?«
»Weiß nicht.«
»In der Nacht?«
»Ja.«
»Richtige Tiere?«
»Nein.«
»Also keine richtigen Tiere?«
»Nein.«
»Tiere, die reden konnten?«
»Ja.«
»Die ein bisschen wie Menschen aussahen?«
»Ja.«
»Die eigentlich Menschen waren?«
»Weiß nicht.«
Sie erzählte sich selbst, was sie hören wollte: dass in der Nacht Männer gekommen seien und dass diese Männer irgendwelche Sachen mit mir angestellt hätten, abscheuliche Sachen, über die zu sprechen mir nicht möglich war. Aber ihre Fragen sprachen es aus. In ihren Fragen lagen die Antworten bereit. Ich habe nichts anderes gesagt als Ja und Nein. Auf alle ihre Fragen Ja oder Nein. Ab und zu, wenn mir danach war, in ihren Augen das Entsetzen zu sehen, das sie in meinen Augen sehen wollten, sagte ich: Weiß nicht. Dem Mann rasten die Finger über den Stenographieblock, und die Frau bekam glühende Wangen. Ich führte sie, indem ich ihnen folgte. Erst dadurch, dass ich ihnen folgte, gestanden sie vor sich selbst ein, was ihnen immer schon klar gewesen war: dass ihr Ziel und ihre Methoden richtig waren – und dass die Strafe, die gewisse Herren an diesem Ziel zu erwarten hätten, gerecht und wunderbar grausam sein würde.
Ich bekam eine bunte, gedrehte Zuckerstange geschenkt und das Versprechen, dass mir eines Tages ein sicherer Arbeitsplatz zugewiesen werde. An der Tür, in Momas Anwesenheit, fragte die Frau – wie nebenher: »Sagen dir die Namen Janko Kollár, Lajos Szánthó und Zsolt Dankó etwas?«
Ohne zu zögern, antwortete ich: »Ja.«
»Und Major György Hajós und Oberst Miklós Bakonyi?«
»Ja.«
»Und wie geht es dir, wenn du diese Namen hörst?«
»Weiß nicht.«
Wenige Tage später wurde uns mitgeteilt, dass die Genannten nicht mehr lebten – abgeholt, verhört, gefoltert, hingerichtet, erschossen, liquidiert und aufgehängt.
7
Was den Deal zwischen Moma und meinem Vater betrifft – zu jener Zeit entschied Moma alle Angelegenheiten der Familie allein –, er sah folgendermaßen aus: Sein Part bestand darin, die Flucht der Familie nach Österreich oder, wenn das nicht möglich wäre, nach Jugoslawien zu organisieren. Moma vertraute ihm. Ich habe die beiden in der Nacht, als Opa und meine Mutter schliefen, in der Küche miteinander sprechen hören. Ich war nie ein guter Schläfer gewesen, ich schlief – wie die Amerikaner sagen – with one eye open . Ich roch Momas Zigaretten, schlich mich zur Tür und lauschte. Der vertrauliche Ton zwischen den beiden irritierte mich, weil er anders war als sonst. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, und weiß es bis heute nicht. Mir ist bekannt, dass Moma Liebhaber gehabt hatte; und aus Andeutungen meiner Mutter schließe ich (über Moma sprach meine Mutter nur in Andeutungen), dass sie, als Opa noch einer der berühmtesten Ärzte von Budapest gewesen war, sich auch schon mit Männern getroffen habe und dass Opa darüber nicht unwissend gewesen sei. Bevor ich zur Welt kam, hatte Moma eine Stelle als Assistentin am ägyptologischen Institut der Eötvös-Loránd-Universität inne; sie reiste viel, nach Syrien, Ägypten und in den Irak, und wenn ich die Andeutungen meiner Mutter richtig ausdeute, immer gemeinsam mit ihrem Professor, einem gewissen Dr. Habich, Spezialist für die 18., 19. und 20. Dynastie, dem sogenannten Neuen Reich. Irgendwann soll es einen Riesenkrach zwischen den beiden gegeben haben, anschließend sei sein Name aus aller Konversation verschwunden – auch aus der zweiten Auflage von Momas Buch, wo es in der ersten noch geheißen hatte: »Für Prof. Dr. Levente Habich, meinen Lehrer und Freund, dem ich alles verdanke.« Moma sei nach dieser Geschichte vorübergehend zu Hause
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