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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Ich werde mein Priesteramt niederlegen und Hemma heiraten. Hast du jemals an Selbstmord gedacht?«
    »Ich glaube nicht. Nein.«
    »Das wusste ich. Jeder Mensch denkt irgendwann in seinem Leben an Selbstmord. Nur der Andres Philip nicht.«
    »Mein Name ist Joel Spazierer«, sagte ich, kehrte ihm den Rücken und ging.
    »Ich habe gelesen«, rief mir Rudi nach, »ich habe gelesen, ein Mann soll an der Totenbahre von Charlie Chaplin Ehrenwache gehalten und hinterher gesagt haben, Chaplin sei der einzige Gottesbeweis, den er gelten lasse.«
    Meine Schritte hallten. Das gefiel mir. Ich hatte mir erst vor kurzem ein paar Stiefel mit hohen harten Absätzen gekauft. Dabei war mir der Gedanke gekommen, den Menschen, Göttern und Tieren Europas den Rücken zu kehren und nach Mexiko auszuwandern.
     

3
     
    Angenommen, ich wäre anschließend nicht ins Heim in der Boltzmanngasse gegangen. Sondern ich wäre in die Straßenbahn gestiegen, zum Ring gefahren und weiter zur Oper und von dort die Kärntnerstraße hinauf zu Allegras Wohnung spaziert. Wie ich es vorgehabt hatte. Ich besaß einen Schlüssel. Der Kühlschrank war voll. Ein Fernseher stand dort. Ich hatte im Programmheft Filme angestrichen, die ich sehen wollte – Der Malteser Falke mit Humphrey Bogart oder Gesprengte Ketten mit Steve McQueen oder Der Hofnarr mit Danny Kaye. Die Wohnung war mit Etagenheizung ausgestattet, das Novemberwetter im März würden mir nichts anhaben können. Ich hätte mich zwischen den Filmen in die Badewanne gelegt. Hätte an nichts gedacht.
    Aber ich ging in die Boltzmanngasse. Und deshalb beginnt hier eine neue Geschichte. Ohne Zweifel hat der Gott mich beim Finger genommen und meinen Finger in die Richtung gewiesen, die er für die richtige hielt.
     
    Am späten Nachmittag – Rudis Gott war inzwischen gestorben, und die Menschen, die an ihn glaubten, bangten, er könnte nicht mehr zum Leben zurückfinden und die Welt bleibe ohne ihn finster und kalt – saß ich in meinem Zimmer und hörte Radio, als das Telefon läutete. Der Apparat hing draußen im Gang gegenüber meiner Tür. Erst wusste ich nicht, wer sprach, dann erkannte ich in der hysterischen Stimme den Psychologiestudenten, der mich in das Geschäft des Rauschgifthändlers eingeführt hatte. Er wisse nicht, was er tun solle, kreischte er, er rufe von der Telefonzelle vor seiner Wohnung an, oben bei ihm liege eine Fixerin, erst achtzehn oder neunzehn, er habe ihr einen Schuss Heroin gesetzt und sie sei ins Koma gefallen. Er kriege sie einfach nicht mehr auf die Beine, er habe Panik, sie werde ihm gleich abkratzen. Er kreischte, dass die Membran vor meinem Ohr schepperte. Ich hörte ihm nicht länger zu, hängte auf, und in zwei Minuten war ich bei ihm, er wartete unten auf der Straße vor dem Tor, trippelte auf und ab.
    Das Mädchen hatte dünne blonde Haare und einen indianischen Poncho um die Schultern. Das Gesicht und die Hände waren wie Kalk, die Lippen blau, die Augen traten hervor und waren halb geöffnet, die Pupillen winzig. Sie atmete so flach, dass es kaum wahrzunehmen war. Ich hob sie hoch und bemühte mich, mit ihr ein paar Schritte zu gehen, die Knie sackten ihr ein, der Kopf fiel nach vorne, es war, als ob kein Leben mehr in ihr wäre. Ob er Kokain oder Speed habe, fragte ich. Kokain habe er, sagte er. Er solle eine Spritze herrichten, sagte ich. Er tue das nicht, sicher nicht, sicher nicht, schrie er, er rühre nichts mehr an, nie mehr rühre er von dem Zeug etwas mehr an, er werde das Koks und das H ins Klo spülen, jetzt sofort.
    »Dann stirbt sie«, sagte ich und ließ sie los. Sie sackte vor meinen Füßen nieder, der Poncho rutschte nach oben und bedeckte ihr Gesicht. Darunter trug sie nichts. Ihr Oberkörper war tätowiert, ein Pegasus mit Flügeln von Achselhöhle zu Achselhöhle entlang der Schlüsselbeine wie ein gesticktes fahlblaues Hemdchen.
    Der Psychologiestudent – ich weiß seinen Namen nicht, wusste ihn nie – legte die Sachen neben sie auf den Fußboden, ein Briefchen mit dem Stoff, eine Spritze, einen Löffel, ein Feuerzeug, eine Handvoll Zigarettenfilter.
    »Spritz du ihr«, sagte er. »Ich kann das nicht, ich zittere zu sehr.«
    »Reib ihr die Arme«, sagte ich, »heb sie hoch! Sie muss sich bewegen!«
    Das Arschloch heulte und biss sich auf die Knöchel, aber er tat, was ich ihm gesagt hatte. Ich schüttete etwas von dem weißen Pulver auf den Löffel, gab ein paar Tropfen Wasser dazu, hielt die Flamme darunter, bis sich das Koks

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