Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
Wrestler Antonio Inoki lastete auf ihm; diese Konfrontation war unentschieden ausgegangen und offensichtlich geschoben und nichts weiter gewesen als eine Geldbeschaffungsaktion, Ali sechs Millionen, Inoki vier Millionen Dollar … – Womöglich kämpften die Engel gar nicht, sondern lagen einander glücklich in den Armen. Eindeutig war das nicht.
»Heute Nachmittag stirbt dein Gott«, sagte ich. »Tut es dir leid um ihn?«
»Joel«, sagte Rudi und sah mich nun zum ersten Mal an, »du hast etwas vor, oder jemand anderer hat etwas vor, und du bist nur der Ausführende. Ich weiß nicht, was es ist. Und es ist besser, wenn ich es nicht weiß. Du machst den Menschen Angst, manchen Menschen machst du Angst. Ich möchte, dass dir das klar ist.«
»Wem mache ich denn Angst, Rudi?«
Jetzt erst sah ich links neben einer der weißen Figuren eine Gestalt stehen, sie war in einen schwarzen Mantel gehüllt, hatte ein Tuch über dem Kopf und drückte sich gegen die Wand. Ich hatte nicht bemerkt, woher sie gekommen war.
»Wer ist das?«, flüsterte ich.
»Jemand möchte beichten«, flüsterte Rudi zurück.
»Erklär mir, was die Beichte ist«, sagte ich.
»Ach, das weißt du«, sagte er, »das weiß jeder. Viele hältst du zum Narren, aber mich nicht.«
»Bitte, Rudi«, sagte ich, »du warst immer anständig zu mir. Geh jetzt nicht! Sie kann warten. Erzähl mir, was geschieht bei der Beichte!«
»Wer beichten möchte, erforscht sein Gewissen und gesteht seine Sünden und bereut seine Sünden, und wenn das geschehen ist, gibt der Priester die Lossprechung, und die Seele ist wieder rein. Willst du mich in eine theologische Diskussion verwickeln, Joel? Bei mir funktioniert das nicht, bei mir nicht.«
»Und wenn einer stirbt und nicht gebeichtet hat, was wird aus dem? Angenommen, er hat etwas Böses getan.«
»Er kommt in die Hölle.«
»Und wie ist es dort?«
»Du machst dich lustig über mich, Joel.«
»Die Hölle«, erklärte mir Pfarrer Rudolf Martin Maria Jungwirth, »ist ein Loch. Das Loch ist mit Lava gefüllt. Es brodelt und glüht in dem Loch. Über der Glut hängen die Bösen an eisernen Haken. Sie schreien. Sie sind nackt. Die Haken durchbohren ihr Fleisch. Die Haut schmilzt in der Hitze und tropft herunter. Schlangen schießen aus der Lava empor und hauen ihre Giftzähne in den Bauch der Bösen. Hoch über dem Loch, am unteren Rand des Himmels, ist ein Balkon. Dort stehen die Guten und sehen zu. Sie freuen sich über die Qualen der Bösen. So ist die Hölle. Genau so und nicht anders.«
Wir unterhielten uns eine Weile über verschiedene Dinge – wie die Arbeit im Heim ist, wie es mit dem Studium vorangeht –, sprachen über Lore und über früher, ein bisschen predigte Rudi, das gefiel mir.
Schließlich sagte er: »Ich kann die Frau nicht mehr länger warten lassen, Joel, das sollst du verstehen. Sie möchte beichten.«
»Ist es gut, Rudi?«, fragte ich. »Ist es gut? Ist es wieder gut zwischen uns?«
Er stand auf und hielt mir die Hand hin, und ich nahm sie gern. »Der Sekretär des Erzbischofs hat eine positive Meinung von dir, der immerhin«, sagte er. »Ich wette, er will dich dem Erzbischof persönlich vorstellen.«
»Und was soll der von mir wollen?«
Rudi grinste, und es war wieder seine alte Art. »Wenn du diese beiden zum Narren hältst, soll es mir recht sein, Joel. Sag ihnen, du bist tatsächlich Jude. Sag ihnen, du bist einer aus dem Stamm Benjamin. Über Benjamin hat sein Vater Jakob gesagt: Er ist ein reißender Wolf, des Morgens wird er Raub fressen und des Abends wird er Beute austeilen. Genesis 49,27. Zitier das. Das wird sie beeindrucken. Soll ich’s dir aufschreiben?« Er hielt meine Hand, nun schon viel zu lange. Und er war der dritte nach Major Hajós und dem Zellenvater, der sagte: »Der Mensch ist dazu da, um für einen anderen Sorge zu tragen. Nur für einen. Nicht für eine ganze Kirche oder die ganze Christenheit oder alle Menschen. Wir sind nicht Jesus. Der hat sich um alle gesorgt. Der konnte das. Ein Genie. Wir sind du und ich. Kleine Scheißer. Ich bin gemacht worden, damit ich mich um Hemma sorge. Ich weiß das. Ich weiß nicht, ob sie gemacht worden ist, um sich um mich zu sorgen. Weißt du, für wen du gemacht worden bist?«
»Weiß nicht«, sagte ich. »Wie weiß man es?«
»Man weiß es«, sagte er und ließ meine Hand los. »Bitte mich nicht, Hemma von dir zu grüßen, ich würde deine Bitte nicht erfüllen. Der Vatikan war nicht gnädig mit uns, musst du wissen.
Weitere Kostenlose Bücher