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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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zweihundert Euro borgen. In der Börse des Sekretärs befanden sich nur sechzig Euro, zehn benötige er selbst für das Taxi. Der Minister rief seine Sekretärin, die steuerte hundert Euro bei. Weitere fünfzig Euro gab mir der Portier. Aus der Art, wie sich Dr. Wolfram unten am Portal der Ministerien von mir verabschiedete, schloss ich, er »gehe davon aus« (Lieblingsverb!), dass wir beide nun quitt seien. Ich sah ihn in der Zeitung und im Fernsehen, leibhaftig sah ich ihn nicht mehr wieder.
    Zu Hause briet ich mir ein Lachssteak, kochte Kartoffeln in Salzwasser, die ich anschließend in Butter und Petersilie schwenkte, dazu reichte ich mir Karottengemüse, mit einer Vanilleschote gekocht. Ich bereitete mir als Zwischenspeise einen bunten Salat zu und als Nachtisch Joghurt mit Früchten. Ich trank zwei Gläser Barolo, am Ende einen Espresso und einen Grappa (ein Minifläschchen vom Schönbichler in der Wollzeile). Am späten Nachmittag schenkte ich mir einen Whisky ein ( Johnny Walker Black Label ) und einen zweiten, dazu etwas dunkle Schokolade. Anschließend unternahm ich einen langen Verdauungsspaziergang durch die Stadt.
    Von den zweihundert Euro aus dem Gesundheitsministerium war nicht ein Cent übrig geblieben.
     

4
     
    Ich habe nie an mir selbst gezweifelt. Ein Begriff wie Selbstbetrug erschien mir als eine Absurdität, als ein Lockwort von Therapeuten; niemand Fremdem habe ich auf Anhieb vertraut. Niemandem habe ich mich preisgegeben. Ich hielt es für ein Menschenrecht, alles tun zu dürfen, um nicht durchschaut zu werden. Ich war ein Mann von unbesiegbarem Zweifelsinn, der aber ausschließlich nach außen gerichtet war. Wer an allem zweifelt, also auch an sich selbst, der spielt nur den Zweifler, er relativiert seinen Zweifel bereits im Akt des Zweifelns; er ist ein Opportunist ohne Aussicht auf Nutzen. Ich wollte nie etwas aus mir machen. Ich wollte nur sein. Was mir gegeben wurde, nahm ich an. Ich habe mich nicht dafür angestellt. Ich hielt nicht viel von Stolz und Pochen auf Würde. Ich wollte nicht nützlich sein. Wer Pläne verfolgt, dem verwandeln sich die Menschen in Freund und Feind, die Menschen verlieren ihre Gesichter, sie tragen Masken, obwohl sie keine tragen müssten. Ich verfolgte keine Pläne. Ich konnte stundenlang dasitzen, ohne etwas zu tun, ohne etwas zu denken. Ich wollte den leichtesten Weg gehen. Wem ich gefiel, dem gefiel ich, wem ich nicht gefiel, dem gefiel ich nicht; ich forcierte nicht das eine und versuchte nicht, das andere auszubügeln. Ich hatte keine Überzeugungen. Ich besaß nie den Ehrgeiz, ein guter Mensch zu werden; auch wenn ich eine Zeitlang glaubte, Moral gehöre zu unserer Grundausstattung. Ich habe mich bemüht, für einen einzigen Menschen Sorge zu tragen, wie ich es versprochen hatte. Oft war ich fahrlässig gewesen. Oft habe ich ausgerechnet jenem Menschen Vorhaltungen und Vorwürfe gemacht, um den ich mich sorgen wollte und nichts weiter, von dem ich Böses abwenden, dem ich nicht etwas Böses antun wollte. Und dann – die Vorhaltungen und Vorwürfe, die eine ganze Welt gegen mich hätte sammeln können, habe ich in Tagen der Verzweiflung, der Hoffnungslosigkeit, in Stunden brachialen Vernichtungswillens auf diesen einen Menschen gebündelt. In Zorn war ich geraten wie nie zuvor in meinem Leben. Ich habe Janna zur Sau gemacht. Ich habe sie klein gemacht, habe sie angeschrien, ohne mich wäre sie nur Dreck, Dreck, Dreck. Sie schluchzte. Ich sagte, sie sehe hässlich aus, wenn sie weine, hässlicher als sonst, ob sie sich selbst denn gar nichts wert sei. Sie werde in sich gehen, jammerte sie, ich solle ihr noch eine Chance geben. Ich habe ihr mit höhnischen Worten, die ich mir selbst nie zugetraut hätte, bewiesen, dass sie unfähig sei, unschuldig zu sein, unfähig sei, Mitleid zu empfinden, unfähig sei zu empfinden. Was hast du aus dir gemacht? Schau dich an! Schau dich im Spiegel an! Wie alt ist diese Frau? Achtundvierzig? Sie ist achtundvierzig? Tatsächlich? Warum sieht sie dann aus wie sechzig? Du siehst aus wie eine kranke Sechzigjährige. Ich nannte sie tyrannisch, wo doch ich tyrannisch war; ich nannte sie heimtückisch, wo doch ich der Heimtückische war. Ich nannte sie oberflächlich, wo doch ich der Inbegriff der Oberflächlichkeit war. Ich war von einer Bitterkeit erfüllt, die ich bis dahin in meinem Leben nicht in mir gespürt hatte. Ich habe mich in der Nacht selbst im Spiegel betrachtet und mir gesagt: Nein, dies ist nicht der Mensch,

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