Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
verschrumpelten, eher bräunlichen. Er ließ mich von beiden kosten. Die hässlichen waren die billigeren. Ich aß, nahm gleich ein zweites Mal. Ich sagte, ich sei ein Augenmensch. Er bat mich, die Augen zu schließen, und gab mir eine dritte Probe. Wir kamen überein, das Hässliche schmecke besser als das Schöne. Das Schöne sei mit Zucker aufgepäppelt, sagte er, für die Deutschen. Ob es sich bei den Feigen ähnlich verhalte, fragte ich. Nein, sagte er, die türkischen seien zwar schöner, aber nicht süßer, die griechischen süßer, aber nicht schön, gezuckert seien beide nicht. Und er gab mir zu kosten. Er ließ mich auch getrocknete Erdbeeren probieren und Korinthen und getrocknete steirische Äpfel. Er hielt mich für einen Experten, für einen Tester, einen vom Gesundheitsamt oder vom Falter , der Stadtzeitung. So kam ich auf eine nicht zu unterschätzende Kalorienanzahl. Allerdings, wegen des vielen Zuckers quälte mich der Hunger eine Stunde später umso unbarmherziger.
Ich kehrte zum Naschmarkt zurück, die Stände hatten inzwischen geschlossen, die blechernen Rollläden waren heruntergelassen, aber die Abfalltonnen waren noch nicht geleert worden. Die Tonnen waren so hoch, dass auch ein großer Mann wie ich nicht hineinsehen konnte. Leidensgenossen führten mir vor, was zu tun war. Sie stemmten sich am Rand hoch und balancierten sich auf dem Bauch über der Öffnung; und griffen hinein und holten angeschlagenes, angefaultes Obst und Gemüse heraus oder einen halben Kebab oder ein angebissenes Kipferl vom Dinkelbäcker ein Stück weiter vorne. Damit wollte ich lieber eine Weile warten. Wir treten stets als Schüler in die verschiedenen Lebensalter ein, und oft fehlt es uns an Erfahrung trotz der Jahre.
Ich ging am Amacord vorbei, einem Bistro, in dem ich vor zehn Jahren abends gern an der Bar gesessen und Averna oder Martini getrunken hatte, sah durchs Fenster ein Paar von einem Tisch aufstehen, der Mann half der Frau in den Mantel, sie ging voraus ohne Dank, und als sie schon bei der Tür war, legte er eine Handvoll Münzen als Trinkgeld auf den Tisch. Ich betrat die Bar, sah mich um, klaubte die Münzen auf und ging wieder. Bei dem Würstelstand in der Nähe der Sezession aß ich zwei Frankfurter mit Kartoffelsalat und einer Essiggurke. Ich aß wieder viel zu hastig. Für ein Getränk reichte es nicht mehr.
Über einige Tage besorgte ich mir auf ähnliche Weise kleines Geld und Essbares; suchte den Boden nach Münzen ab, das kann sich rund um Würstelstände, Taxiplätze und auf Obst- und Gemüsemärkten durchaus lohnen. Ich griff in Mäntel, die in Restaurants an Garderoben auf dem Weg zur Toilette hingen, und fand ein paar Münzen darin. Ich stahl aus Brotkörben, Einkaufstaschen und Lieferwägen, Sandwichs von Theatertheken und Obst von den Ständen auf den Märkten; schlich mich zu Vernissagen oder Empfängen.
Einmal, wieder auf dem Naschmarkt, an einem Samstag, als sich die Besucher drängten, zog ich einem Mann die Brieftasche aus den Jeans, es war spielend leicht. Aber es waren nur 32 Euro darin. Ich kaufte beim Billa ein und bereitete mir ein Festessen zu: Kartoffeln- und Selleriestreifen in Öl und Butter gebraten, zwei Butterschnitzel aus gemischtem Faschiertem, Schwein und Rind, scharf gewürzt, dazu eine Joghurt-Sauerrahm-Soße mit Dill, zum Trinken dunkles Nährbier, zwei Flaschen. Zum Nachtisch Ziegenkäse und Schafskäse und dunkle Schokolade, in eine Joghurt-Sauerrahm-Soße geraspelt. Das war mein Mittagessen.
In der Nacht wachte ich auf, weil ich vom Essen geträumt hatte. Der Hunger blieb, der Traum sickerte ins Dunkel zurück, wo er sich weitere Ratschläge holte, mich zu quälen.
Ich legte mich in die Badewanne und ließ heißes Wasser über mein Knie einlaufen. Das mochte ich. Das Knie wurde rot, und ich hielt es kaum aus vor Hitze. Ich erinnerte mich an den Sommer 1958 , als ich neun Jahre alt war und in der Frühe am Strand von Oostende spazieren ging, mit einem gewaltigen Appetit im Bauch, und als das Mädchen, das Claudine hieß, auf mich zutrat und mich zum Frühstück auf die Veranda ihrer Eltern einlud, wo rot-weiße Sonnenschirme verteilt waren. Im Gegensatz zu ihrem Vater und ihrer Mutter, die mir, eine Zeitlang wenigstens, meine Geschichten glaubten, hatte sie von Anfang an verstanden, dass ich ein Vagabund war, hatte sich nicht von meinem feinen weißen Anzug und dem kecken Strohhut täuschen lassen. Auch meinen Namen hatte sie mir nicht geglaubt. Als ich ihn
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