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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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später versicherte, ihn gedrängt, uns beide zusammenzuführen und einander vorzustellen. Zu den Feierlichkeiten anlässlich des Zusammentreffens des Thälmann-Nachwuchses war Hager nämlich nicht eingeladen worden. Man wollte sich die »Freude durch ein zweites bitteres Gesicht nicht verderben lassen, Irmas Flunsch hat völlig genügt« (Margot Honecker). Jedenfalls kam er in einem schlechtsitzenden, gelblich beigen Einreiher auf mich zu, streckte die Hand aus und krallte sie, just als ich sie nehmen wollte, zur Faust zusammen, stellte den Daumen auf und deutete über seine Schulter, als wollte er mir zeigen, wo der Zimmermann das Loch gemacht hat, und sagte: »Heraus damit, Professorchen, wie sieht die Wirklichkeit aus!« Und ich: den ersten der beiden oben zitierten Sprüche. Und zwar wie aus der Pistole geschossen. Der Laden ist ihm heruntergefallen. »Weil nichts dem ehemaligen Arbeiterbub mehr weh tut, als wenn er nicht der Klassenprimus ist« (Margot Honecker). Aber er fasste sich rasch, »der mit allen Wassern Gewaschene«, nuschelte etwas, was niemand verstand, lachte, als hätte es jeder verstanden, haute mir auf die Schultern und sagte: »Sehr gelungen, sehr gelungen, wirklich sehr gelungen, erinnert mich an mich selbst …«; worauf ich, in hartem Schnitt, die zweite oben angeführte Sentenz nachschob. Er: wie Eis oder Stein, etwas Hartes, Unbelebtes jedenfalls. Besiegt. Dritter Anlauf nicht möglich. – Eine Glücksgelegenheit! In einem einzigen Wortwechsel die zwei schlausten Zitate, die man auf Lager hat, loszuwerden! Ich hätte um den Grill tanzen wollen! Margot Honecker lächelte ihr unvergleichlich sparsames Lächeln – hübsch war sie an diesem Abend! – und applaudierte mir mit ihren beiden Zeigefingern. Erich Honecker sog die Wangen ein, was, wie mir später mehrfach bestätigt wurde, alles besage. Erich Mielke aber, dieser »großväterliche Barbar« (Margot Honecker), breitete – nun schon zum zweiten Mal – die Arme aus und schloss mich in dieselben, drückte sein Ohr auf mein Brustbein, lauschte kurz meinem Herzschlag und rief in die Runde und gab damit das Motto unseres frühlingsfröhlichen Grillfestes aus: »Mein Mann, meine Herrschaften, mein Mann! Hat ein Jahr in meinem Haus gewohnt! Ja, was denn sonst! Stoßen wir auf ihn an, dass uns der Schaum um die Ohren fliegt und ihr anderen auch was von ihm abkriegt!«
    Gegen neun Uhr hatten sich die Gäste vertrollt. Erich und Margot Honecker und ich saßen auf der Terrasse bei einem Glas Wein und schauten in den letzten hellen Streifen über unserer kleinen Republik. Die Bediensteten hatten abgeräumt und die Spüle saubergewischt und sich nach Hause verabschiedet. Wir waren allein.
    Und warteten auf Elsbeth.
    Ich hatte Margot meine verwickelte Geschichte erzählt – ja, ich habe es dann doch getan –, und sie hatte sie an ihren Mann weitergereicht, beide waren gerührt gewesen wegen des Vertrauens, das ich ihnen schenkte. Sie meinten, ich hätte mich richtig entschieden. Was für ein Jammer, wenn ein Mann wie ich der Wissenschaft entgangen wäre. Und welche Güte, dass ich trotzdem mein Herz nicht verraten hätte. Wie Thälmann, eben wie Thälmann – und hatten angeboten, dass Elsbeth, wenn die anderen gegangen seien, vorbeischauen solle. Elsbeth hat von ihrer Arbeit mit den Hunden erzählt. Sie konnte witzig erzählen. Margot brachte Decken, weil wir draußen bleiben wollten, eine sternenklare Nacht. Elsbeth half Margot in der Küche, sie richteten Brötchen und etwas Süßes und Likör, und Margot kam mit einem Silbertablett. »Das hat uns Annekathrin Bürger geschenkt«, sagte sie. »Sie war oft bei uns, kommt überraschend, wenn sie Zeit hat, ist dicke im Geschäft am Theater, und einmal hat sie gesagt: Bei euch bringt man die Brötchen und den Kaffee immer so mit der Hand auf die Terrasse. Darum das Tablett. Und jetzt tun wir einmal vornehm.«
    Der Abend ging gut aus. Elsbeth bekam von Erich Honecker eine Stelle in dessen Büro versprochen – und sein Versprechen hat er gehalten: Gleich am folgenden Tag, Montag, Punkt fünf nach neun kam ein Anruf von einer seiner Sekretärinnen, und am Nachmittag war bei der Grenzwache gekündigt und der neue Arbeitsvertrag unterschrieben. Die Bezahlung war besser, die Arbeitszeit moderater, kein Außendienst, keine Hunde. Elsbeth war sehr erleichtert, und Lenchen auch: kein Hundegeruch an der Jacke ihrer Mama, keine angeknabberten Hundekuchen in den Taschen. Die Honeckers versprachen mir

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