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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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obendrein Diskretion. Freundschaft zu den Bertuleits hin oder her, über Elsbeth und mich werde niemand ein Sterbenswörtchen von ihnen erfahren. Und dass ich dem Kurt Hager die Flügel gestutzt hätte, das würden sie mir nie vergessen. Der sei ja fast noch schlimmer als der arrogante Fatzke Markus Wolf, der vor jeder Versammlung, und sei’s vor dem Taubenzüchterverband Oberprotzenburg an der Knatter, auf seinen Kosenamen »Mischa« hinweise, nur um den Anschein von Beliebtheit zu erwecken, wo doch jeder in der Republik wisse, dass er einen Gummischlauch statt eines Rückgrats unter dem Hemd habe.
    Draußen vor der Datsche wartete Hung neben seinem Mosquitsch . Er unterhielt sich mit Major Bernd Brückner, dem Leibwächter Erich Honeckers, der nun auch von seinem Chef die Erlaubnis bekam, sich zurückzuziehen. Hung fuhr Elsbeth und mich nach Berlin zurück, bald war Mitternacht. Lenchen schlief bei ihrer Oma.
     
    Sehr gut verstand ich mich mit Erich Mielke. Ich will Ihnen von einem gemeinsamen Nachtspaziergang durch die Hauptstadt der DDR berichten. – Ich nannte ihn übrigens bald, seinem Wunsch entsprechend, Emil, das war sein dritter Vorname. Mich nannte er András. Er wusste alles. Ein Mann, der mehr als ein Mann sei, komme schwerlich mit einem Namen aus, knurrte er anerkennend. Er misstraue jedem, der behaupte, nur einen Namen zu haben. Wie dieser Kurt Hager, diese Plastiktüte voll Rotz und Wichse, der Tag werde kommen, wo er diesem Dreckschwein die Fresse dreimal um den Kopf wickle. »Hab Dank, Jungchen, dass du dem die Arroganz weggeputzt hast! Und das mit zwei Sätzen, du meine Güte! Du bist ein Genie! An deiner Stelle würde ich meinen Studenten diese beiden Sätze eintrichtern, eintrichtern, eintrichtern. Damit sie irgendwann im Leben einen ähnlichen Auftritt hinlegen können wie du. Mehr kann man von Bildung nicht erwarten. Kein Mensch hat verstanden, was du gesagt hast, am wenigsten der Hager. Das war reinster Tschekismus! Zuschlagen, und der Feind weiß nicht, war es die Faust oder der Stiefel oder ein Schlagring. Wenn du ihn wieder triffst, sag mir vorher Bescheid. Wär ich gern wieder dabei.« Er selbst habe schon Fritz Leissner geheißen und Richard Hebel, sei Spanier und Lette gewesen. Fast ein Dutzend Namen habe er gehabt. Irgendwie schade, dass diese Zeit vorbei sei. Bei seiner berühmten Rede vor der Volkskammer, seiner ersten und letzten 1989 (als er ausrief: »Ich liebe alle Menschen!«) – das war sechs Jahre nach unserem Nachtspaziergang durch die Hauptstadt gewesen –, hatte er auch angedeutet, er habe »einen hohen Kontakt mit allen werktätigen Menschen«, und ist dafür ausgelacht worden. Nun, einige Kontakte mit Werktätigen kann ich bestätigen. – Er hatte sich für unseren Spaziergang Westturnschuhe und weite Bluejeans mit Hosenträgern angezogen, darüber einen Kunstlederblouson. Und eine Perücke hatte er sich übergestülpt, gelblich blond und hinter die Ohren gebürstet, eine Baseballmütze obendrauf, um eventuelle Unglaubwürdigkeiten abzuschwächen, an Kinn und Oberlippe hatte er Barthaare geklebt und auf die Nase eine dicke, dunkel gerahmte Brille mit gelblich getöntem Glas gesetzt. Hinter diesem Mann hat man niemanden erkannt. Er hatte mich vorher gebeten, ich möge mich bitte nicht in meinem gewohnt eleganten Outfit ihm anschließen, und hat über einen Boten vom MfS ein paar Klamotten schicken lassen. (Mein Manko: Ich sehe in allem elegant aus.) Wir zogen also durch die Kneipen, und er hörte sich an, was die Werktätigen zu erzählen hatten. Er kannte eine Bar abseits vom Prenzlauer Berg, wo er grölend begrüßt und mit »Wille« angesprochen wurde und wo es eine ordentlich durchgesalzene Fischsoljanka gab, Bier dazu. Wir aßen stehend am Tresen, und der Wirt erzählte uns Witze. Emil hat auch geredet, nicht nur zugehört, hat auf die Stasi geschimpft, hat heimlich eine Mütze eingesteckt, ich hab’s gesehen, hat in der Nase gebohrt und den Popel gefressen und hat mir auf dem Heimweg morgens um halb zwei ein paar Tipps gegeben, was man beim Töten von Menschen beachten müsse. Der schlimmste Feind des Tschekisten, erklärte er mir, sei das schlechte Gewissen. Tschekisten seien keine gewöhnlichen Killer wie aus amerikanischen Spielfilmen. Tschekisten seien hochmoralische Männer und Frauen mit heißem Herzen, kühlem Kopf und sauberen Händen. Wenn man sich das Gewissen eines einfachen Menschen getrost als Ratte vorstellen dürfe, so sei das Gewissen des

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