Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
sagte ich. »Ich weiß, dass es ihn gibt. Aber ich glaube es nicht.«
Es könne nicht sein, lachte er kopfschüttelnd, und wie ich in seinen plötzlich unsteten Augen zu sehen glaubte, ein wenig verdattert, aber auf eine sympathische Art darüber verdattert, dass der Mensch etwas wisse, es aber zugleich nicht glaube – nicht anders als etliche Jahre zuvor die theologische Studentenschar in der Teeküche des Studentenwohnheims zum Heiligen Fidelis in der Boltzmanngasse im 9. Wiener Gemeindebezirk. Wenn man etwas wisse, so Prof. Lenz weiter, bedeute das, wenigstens an einer philosophischen Fakultät, es sei auch bewiesen. Damit aber sei der Glaube vom Tisch.
Ich sagte: »Ich habe ihn gesehen. Er ist mir begegnet. Er stand unter einer Laterne. Er hat mit mir gesprochen.«
Da schluckte der Professor.
Ich probierte nichts Neues aus, hielt mich an Bewährtes: Ich ließ eine Spanne Zeit frei, in der ich nach links unten blickte und sonst nichts, und zitierte schließlich Meister Eckhart, tat aber wieder so, als wäre es von mir: »Unter der Erde versteht man die Finsternis, unter dem Himmel das Licht.«
Er war erschüttert. Erwartungsgemäß.
Am selben Tag suchte ich in der Bibliothek nach Büchern meines Meisters und fand eine Ausgabe der Predigten (aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt, herausgegeben und eingeleitet von Friedrich Schulze-Maizie, Insel Verlag Leipzig, 1938). Ich nahm den Band an mich, zupfte das Registrierschildchen ab und riss die Seite mit der eingestempelten Registriernummer heraus. Ich freute mich und war erleichtert, als wäre eine entlaufene Katze zu mir zurückgekehrt.
Sie werden sich fragen, wie kann jemand, dessen theologische Lektüre sich auf eine schmale Auswahl des Eckhart’schen Werks beschränkte, auch nur eine einzige Lehrveranstaltung an einer Universität bestreiten. Die Frage liegt nahe; sie ist aber unintelligent, weil sie gezeugt und geboren wurde, um der negativen Antwort zu dienen. (Merken Sie sich bitte diese Formulierung!)
Ich erkläre Ihnen, wie ich’s gemacht habe:
Bei meiner ersten Vorlesung – es waren ungefähr fünfzig Studenten gekommen – saß ich vorne auf dem Podium, gekleidet wie ein französischer Existentialist, nach »Babbale«-Rasierwasser duftend, blickte ins Auditorium und ließ die Zuhörer warten. Es wurde ruhig, blieb lange ruhig, wurde unruhig und wieder ruhig, unruhig und wieder ruhig und endlich still wie unter der Erde.
Ich fragte: »Wer glaubt an den Gott?«
Niemand.
Ich fragte: »Wer glaubt nicht an den Gott?«
Niemand.
Ich fragte: »Was ist so ungewöhnlich an diesen beiden Fragen, dass keiner antworten will?«
Ein Student zeigte auf, blickte sich erst grinsend um und sagte: »Der Artikel, Herr Professor.«
Eine Studentin präzisierte: »Warum sagen Sie der Gott?«
»Anstatt wie?«, fragte ich.
»Anstatt einfach Gott.«
»Was ist der Unterschied?«, fragte ich.
» Der Gott könnte meinen, es gibt noch einen anderen.«
»Im Gegenteil«, widersprach ein dritter. »Der bestimmte Artikel behauptet ja gerade, dass es nur einen gibt. Sonst müsste man sagen: ein Gott.«
Ein vierter behauptete: »Von einem artikellosen Gott kann nur ein gottgläubiger Mensch sprechen.«
Dazu ein fünfter: »Das hieße, Gott, mit dem bestimmten Artikel davor, wird von einem Atheisten verwendet, der nur einen Gott meint?«
Ein sechster kommentierte lästernd: »Also von einem monotheistischen Atheisten.«
So ging es weiter. Anfänglich mischte ich mich noch ein, indem ich manchmal eine Frage stellte. Bald war mein Beitrag nicht mehr nötig. Die Diskussion lief von selber ab. Zu einem Gegenstand, über den niemand etwas weiß, hat jeder etwas beizutragen. Ich lehnte mich auf meinem sperrigen Sessel zurück, überlegte, wie ich es anstellen könnte, von der Universitätsleitung eine anständige Sitzgelegenheit zugeteilt zu bekommen; überlegte, ob ich mich bei dieser Gelegenheit gleich dafür einsetzen sollte, dass das Rauchen während der Vorlesungen erlaubt sei, ich hätte mir nämlich gern eine Philip Morris angezündet; überlegte, was ich meinem Lenchen zu ihrem zweiten Geburtstag schenken sollte, ein Kettchen, an das sie verschiedene Anhänger heften könnte, oder eine Schlafdecke aus Daunen mit aufgestickten Tieren, wie sie Elsbeth und ich im Intershop gesehen hatten, Made in Belgium . Als die zwei Stunden vorüber waren, ließ ich drei Arbeitsgruppen zu je vier Studenten bilden, die bis zur nächsten Veranstaltung je ein Referat vorbereiten
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